© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Keine schöne neue Welt
Das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz eröffnet nur den wenigsten Menschen humane Aussichten
Christoph Keller

Wer sich zuverlässig über Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI) ins Bild setzen lassen will, ist bei der für Journale wie Gehirn & Geist oder Psychologie Heute schreibenden Wissenschaftsjournalistin Manuela Lenzen stets an einer guten Adresse. Die mit Wucht aufbrandende Debatte (JF 26/18) darüber, ob die Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelt nicht vornehmlich düstere Perspektiven eröffne, hat Lenzen wohl inspiriert, mit einem monographischen Überblick zumindest über den Teilbereich KI die Chancen und Risiken dieser technologischen Revolution abzuwägen.

Gibt es wirklich unüberwindliche Hürden?

Ihr Taschenbuch, das sich vom oft hysterischen Duktus der Massenmedien wohltuend sachlich abhebt, ordnet die KI-Materie zwei Fragekomplexen zu. Erstens: Was kann KI? Zweitens: Was erwartet die Gesellschaft an Veränderungen durch denkende Maschinen? Als promovierte Philosophin ist Lenzen gerade im ersten, eigentlich technologischen Teil bemüht, sich nicht in den Details zu verlieren, sondern sich auf Grundsätzliches zu konzentrieren.

Das besteht in der Funktionsweise von Informationsverarbeitungssystemen, die menschliche Intelligenz nachahmen. Die KI-Forschung startete vor 80 Jahren mit der simpel klingenden Hypothese, daß Denken und Datenverarbeitung eng verwandt sind. Seitdem ist diese extrem vereinfachende technische Imitation neuronaler Hirnaktivitäten von Computern mit bescheidenen Rechnerleistungen von 2.000 Operationen pro Sekunde (1942) fortgeschritten zu selbstorganisierenden neuronalen Netzwerken mit Milliarden Verbindungen zwischen künstlichen Neuronen, mit denen Bilderkennungsprogramme in Bruchteilen einer Sekunde Millionen Fotos fehlerfrei kategorisieren.

Doch selbst bei derart perfektionierten Leistungen will Lenzen nicht von Intelligenz sprechen. Lieber von „kognitiven Fähigkeiten“, wie sie heute eine Unzahl denkender Maschinen, vom Smartphone bis zum humanoiden Roboter erbringt. Menschliche Intelligenz geht darüber hinaus, bedeutet bewußtes, reflektiertes, sprachlich gefaßtes Denken, das mit künstlichen Systemen nicht zu erreichen ist. Computer zu konstruieren, die im menschlichen Sinn intelligente Leistungen erbringen, „stellt die KI-Forschung vor eine unüberwindliche Hürde“. Es könne also nur um Ähnlichkeit in der Struktur, im Ablauf der Prozesse gehen.

Aus dieser Grenze der Imitation des Menschen glaubt Lenzen im zweiten Teil ihrer Darstellung für die Zukunft die beruhigende Gewißheit ableiten zu dürfen: Die kursierenden Schreckenszenarien von der nahenden Herrschaft künstlicher Intelligenz, die sich über menschliches Maß hinaus verbessern werde und ihre dummen Schöpfer „im besten Fall in den Kaninchenstall sperrt, im schlimmsten zu Büroklammern verarbeitet“, seien wirklich übertrieben.

Was auch immer noch als Ausgeburt künstlicher Superintelligenzen zu erwarten sei, deren Vorboten heute seien bereits in den Alltag eingesickert: Solange sie als dienende Werkzeuge, die eine komplexe Welt handhabbar machen, menschliches Leben erleichtern, würden sich Dystopien, wie sie Tesla-Chef Elon Musk und Microsoft-Gründer Bill Gates an die Wand malen, nicht erfüllen. Auch nicht die verunsichernden neuen Schätzungen über den Prozentsatz der Arbeitsplätze, die intelligente Maschinen bald übernehmen könnten.

Insoweit könne, um nur den positiven Teil einer Einschätzung des Physikers Stephen Hawking zu zitieren, KI zum Besten ausschlagen, was der Menschheit je zugestoßen sei. Dann öffne KI das Tor zu paradiesischen Zuständen, mit intelligenter Logistik, die Transporte von Gütern und Lebensmittel rund um den Globus überflüssig werden lasse, mit kluger, nachhaltiger Energieversorgung in „Smart Citys“, teilautonomen Ökoautos, Robotern, die alle monotonen Arbeiten erledigen und den Menschen in eine kreative Freizeit entlassen, mit individualisierter Medizin, die Früherkennung und Therapien verbessert.

Maschinen haben keine dunklen Machtinstinkte

Eine Utopie einer Technikwelt, zu der für Lenzen auch die Überführung der gewaltigen Datenbestände von Google & Co. in Gemeineigentum gehört. Das Internet solle dann ein internationales, demokratisch legitimiertes und kontrolliertes Konsortium verwalten. In dieser schönen neuen Welt hätten ihre Bewohner die überzogenen Erwartungen, die sie mit dem Aufkommen der neuen Technologie hegten, wie Kinderkrankheiten hinter sich gelassen und gingen mit der KI so selbstverständlich um wie wir heute mit der Elektrizität. Lenzen siedelt diese „Gedanken über ein gutes Leben“ mit KI letztlich eher im Reich der Wünsche an und schlägt sich nach ihrer gründlichen Musterung aktueller Trends dann doch auf die Seite der Mehrheit derer, die es mit dem negativen, Unheil durch KI ankündigenden Teil von Hawkings’ Ausblick halten.

Und zwar nicht deshalb, weil immer klügere Maschinen sich, wie in den Visionen des Google-Forschungsdirektors Ray Kurzweil, in Cyborgs, Mensch-Maschine-Mischwesen verwandeln und sich exakt ab 2029 zu Herren der Erde aufschwingen. Aber Maschinen haben keine dunklen Machtinstinkte. Menschen hingegen schon. Sie allein stellen die Weichen in eine Zukunft, in der vielleicht, wie es der deutsch-jüdische Kulturphilosoph Theodor Lessing schon den 1920ern mit Blick auf die heute relativ harmlose Rationalisierung der US-Arbeitswelt fürchtete, die „Hausordnung der Hölle“ gelte.

Auch für Lenzen rollt der Zug bereits in diese falsche Richtung. Weil die KI der „ganz große Zukunftsmarkt“ sei, gehe es nur vordergründig – wie in der Werbung des Silicon Valley – um eine humanere Zukunft durch KI, die Ressourcenschonung, Effizienzgewinne und sinnvolle Ergänzung menschlicher Arbeitskraft verspreche. Tatsächlich soll KI neue Märkte für neue, vielfach absurde, posthumane Bedürfnisse erschließen. Beim Militär sei das offenkundig, da die Entwicklung autonomer KI-Waffen der „dritten Revolution der Kriegstechnik“ den Weg ebne.

Ebenso spreche in den zivilen Lebensbereichen wenig dafür, daß humanoide „Pseudogefährten“, Gebäudeintelligenz und das Internet der Dinge mit seinen 1.000 Spielzeugen zur „Optimierung“ des Daseins den Menschen nicht zum Anhängsel von Maschinen machen. Und deren Kontrolle liege in Händen einer kleinen Elite an der Spitze monopolartiger Konzerne, die ihre Pfründe mit allen Mitteln, darunter einer Armee von Robotern, „gegen die vor den Toren ausharrenden Armen“ verteidigen werde.

Politisch sei zwar noch nicht entschieden, ob menschenleere Produktionshallen, in denen nur Roboter ihre Wege ziehen, bald eine globale Normalität werde, ob das digitale Prekariat wachse oder ob das „Leitbild der guten Arbeit“ aufrechtzuhalten sei. Erkennbar sei jedoch, wie rasch die Wirtschaftsleistung mit der Digitalisierung zunehme, ohne daß vom größeren Kuchen gleichzeitig mehr Menschen etwas abbekämen. Die Schere zwischen Arm und Reich öffne sich immer weiter, und die Gewinne häufen sich bei denen, die KI sicher nicht für die „Menschwerdung des Menschen“ (Karl Marx) einsetzen.

Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI):  www.dfki.de/

Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS):  iais.fraunhofer.de/

Manuela Lenzen: Künstliche Intelligenz – Was sie kann & was uns erwartet. C. H. Beck Verlag, München 2018, 272 Seiten, broschiert, 16,95 Euro