© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Nicht länger am Spielfeldrand stehen
Bundesparteitag: In Augsburg beweist die AfD, daß sie auch ohne großen Eklat zusammenkommen kann / Pragmatische Entscheidungen
Christian Vollradt

Zum Schluß ging alles dann ganz schnell. Am Samstag abend wollten die Delegierten die Entscheidung. Die Frage, ob die AfD eine parteinahe Stiftung bekommt – und wenn ja, welche – oder nicht, sollte nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden. Alle Geschäftsordnungsanträge, die Abstimmung noch einmal zu verschieben, lehnte die Mehrheit ab. Sogar der Hinweis auf den Zeitdruck, weil ab 21 Uhr die Augsburger Messehalle der Reinigungsfirma und den Sprengstoffspürhunden allein gehören müsse, fruchtete nicht. 

Und so eindeutig der Wunsch nach einem Votum überhaupt, so deutlich auch das Ergebnis: Mit über 60 Prozent sprach sich der Parteitag für die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) aus. Mit fast der gleichen Mehrheit lehnte man den Antrag, der Stresemann-Stiftung auch diesen Status zu verleihen, ab. 

„Nicht dem David die   Steinschleuder wegnehmen“

Keine Frage: Auch wenn schon im Vorfeld des Parteitags etwa 200 von rund 500 Delegierten einen Antrag pro DES unterzeichnet hatten, war es vor allem deren Vorsitzende, die mit einer aufrüttelnden Rede die Herzen – und dann auch die Stimmen – der Delegierten gepackt hatte. Niemand bekam an diesem Tag soviel Applaus von den AfD-Leuten im Saal wie das Nicht-Parteitmitglied Erika Steinbach. Hatte es nach der für sie enttäuschend verlaufenen Sitzung des Parteikonvents (JF 27/18) noch geheißen, Steinbach habe die Seele der Partei nicht verstanden, könnte man nach ihrem Auftritt in Augsburg meinen: Keiner hat die Seele der AfD an diesem Tag so gestreichelt wie sie. „Ich brauchte mich nicht zu verstellen“, sagte die frühere Bundestagsabgeordnete und mittlerweile parteilose ehemalige CDU-Politikerin unmittelbar nach ihrem Abstimmungserfolg der JUNGEN FREIHEIT. „Ich bin bei dem Thema sehr emotional.“ Das Votum nannte sie ein „Ergebnis der Vernunft“. Es dürfe nicht sein, daß „nur die anderen Geld abgreifen“, bekräftigte Steinbach. „Wir müssen Gesellschaftspolitik machen – unbedingt.“ 

In ihrer Rede hatte sie zuvor eindringlich an die Delegierten appelliert, für ihr Konzept zu stimmen, um auf Augenhöhe mit den Etablierten konkurrieren zu können. „Im Kampf gegen Goliath dürfen wir David nicht die Steinschleuder wegnehmen“, forderte sie. Deutschland sei „ein Fall für den Psychiater, wir müssen ein Therapeut sein.“

In der lebhaft geführten Diskussion trafen „Puristen“ auf „Realisten“. Die einen warnten unter Verweis auf die Kritik der AfD an den Milliarden Steuermittel für die politischen Stiftungen vor zuviel Anpassung an die „Altparteien“, zum Beispiel mit dem Argument, Glaubwürdigkeit sei „ein viel schärferes Schwert als hundert Millionen“ (so der sächsische Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse).Die anderen verwiesen darauf, daß das Geld, auf das man verzichten würde, den anderen zufalle, die dann damit die AfD bekämpften. „Hören wir auf, weinend am Spielfeldrand zu stehen und in Schönheit sterben zu wollen“, mahnte der stellvertretende rheinland-pfälzische Fraktionsvorsitzende Joachim Paul.

Auffallend war währenddessen die völlige Zurückhaltung der Parteispitze. Schweigend verfolgte man vom Podium aus, wie an den Saalmikrofonen die Argumente mal lauter mal leiser ausgetauscht wurden. Wer sich danach erkundigte, warum der Bundesvorstand in seiner Beobachterrolle verharrte, bekam verschiedene Antworten: Da war dann von einem hinter den Kulissen ausgehandelten Deal die Rede, wonach man bewußt keinen Einfluß auf das Stimmungsbild nehmen wollte. Eine andere Erklärung lautete: Da der Bundesvorstand einen eigenen, auf eine Kompromißlösung zielenden Antrag gestellt hatte, hätte eine Wortmeldung zu den anderen diskutierten Anträgen eher seltsam gewirkt. 

Im Gespräch mit Delegierten zeigten sich vor allem diejenigen, die sich als bürgerlich, liberal-konservativ einschätzen, äußerst zufrieden. Nicht nur beim Thema Stiftung sah sich dieses Lager als Sieger, sondern vor allem bei der Besetzung des Bundesschiedsgerichts. Dort konnte, so die übereinstimmende Feststellung, der nationalkonservative „Flügel“ keinen Stich machen. Andererseits kann es Björn Höcke, der mit Verve für seine Idee des „solidarischen Patriotismus“ warb, ohne Zweifel als Erfolg verbuchen, daß sein Antrag, im kommenden Jahr einen Parteitag mit sozialpolitischem Schwerpunkt abzuhalten, auf große Zustimmung stieß. 

Doch das sei rein symbolisch, winken Höckes innerparteiliche Kritiker ab. Denn damit war ja kein inhaltliches Votum für sein etatistisches Rentenkonzept verbunden. Dafür hatte schon Parteichef Jörg Meuthen gesorgt, der in seiner nicht besonders mitreißenden  Rede zwar geschickt links blinkte, indem er gegen „Neoliberalismus und Vulgär-Kapitalismus“ wetterte, dann aber rechts abbog: Mit einem klaren Plädoyer für mehr private Vorsorge und eine „echte Alternative“ zum gegenwärtigen Umlagesystem. Die Entscheidung, vor der die AfD dann also 2019 steht, wird eine klaffende programmatische Lücke schließen, garantiert aber auch zu heftigen inhaltlichen Auseinandersetzungen führen.