© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Kreditbelastung in die Zukunft verschoben
Eurokrise: Bundestag gewährt Griechenland Schuldenerleichterungen in Höhe von 48 Milliarden Euro
Dirk Meyer

Vorigen Freitag hat der Bundestag das – de facto – vierte Hilfspaket für Griechenland mit großer Mehrheit angenommen: Die anwesenden SPD- und Grünen-Abgeordneten stimmten ohne Ausnahme zu. In der Unionsfraktion gab es immerhin zwölf Neinstimmen und sieben Enthaltungen. AfD, FDP und Linke lehnten die am 22. Juni von der Eurogruppe im medialen Schattenwind der Fußball-WM beschlossenen Schuldenerleichterungen für Griechenland geschlossen ab.

Allerdings gibt es fünf Unterschiede zu den bisherigen drei Hilfsprogrammen in Höhe von 272,7 Milliarden Euro:

(1) Der Begriff des „Hilfsprogramms“ wird vermieden;

(2) die Auflagen für Griechenland bestehen lediglich in der Einhaltung bisheriger Zusagen;

(3) die Aufsicht soll weniger streng sein als die bisherigen Kontrollen;

(4) für das Jahr 2032 wird bereits ein fünftes Folgeprogramm angedeutet und

(5) keines der beschlußfassenden Organe auf EU- und deutscher Regierungs- und Parlamentsebene kannte die finanziellen Lasten.

Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg, behauptete sogar: „Einen Schuldenerlaß oder Schuldenschnitt wird es für Griechenland nicht geben.“

Zu den Fakten: Das dritte griechische Hilfsprogramm endet am 20. August 2018. Die aktuelle Abschlußzahlung von 15 Milliarden Euro wird mit nur 5,5 Milliarden Euro für den Schuldendienst verwendet. Die restlichen 9,5 Milliarden Euro dienen dem Aufbau einer Liquiditätsreserve, die dann insgesamt 24 Milliarden Euro umfaßt.

Finanzierungsbedarf für 22 Monate gedeckt

Damit ist der vorausgeplante staatliche Finanzierungsbedarf für 22 Monate gedeckt – ohne daß Wahlversprechen der anstehenden Parlamentswahl berücksichtigt sind. Damit soll Griechenland Zugang zum Kapitalmarkt bekommen, den es jetzt aber frühestens in knapp zwei Jahren braucht. Allerdings hält der Internationale Währungsfonds (IWF) die Schuldentragfähigkeit – die griechischen Staatsschulden betragen 179 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – trotz dieser Maßnahmen für nicht gegeben.

Von 2012 bis 2017 hat Griechenland immer wieder Schuldenerleichterungen bzw. Finanzierungsvorteile auf der Basis von Nachverhandlungen erhalten (JF 20/18). Ein Schuldenschnitt privater und öffentlicher Gläubiger (2012), ein Schuldenrückkauf-Programm (2012), die Verlängerung der Kreditlaufzeiten, Absenkung des Kreditzinses und ein geändertes Schuldenmanagement der Rettungsfonds (2017) summieren die Vorteile auf bislang 274 bis 290 Milliarden Euro. Hinzu kommen die aktuell beschlossenen Krediterleichterungen mit drei Maßnahmen.

(1) Kredite im Umfang von 96 Milliarden Euro erhalten eine Laufzeitverlängerung um zehn Jahre. Die durchschnittliche Laufzeit beträgt damit 42,5 Jahre, so daß die letzte Rate 2066 fällig wird. Aktuell muß Griechenland für die Zinsen der Hilfskredite 1,37 Prozent pro Jahr leisten, während es auf dem Kapitalmarkt für eine 25jährige Anleihe 4,9 Prozent zu zahlen hätte. Der Zinsvorteil aus dieser Differenz ergibt für die Laufzeitverlängerung 24,4 Milliarden Euro. Außerdem werden Zinsen und Tilgung um weitere zehn Jahre bis Ende 2032 gestundet. Damit werden alle Kredite erst in15 Jahren zahlungswirksam. Dieser Aufschub bedeutet einen weiteren Vorteil von 3,5 Milliarden Euro.

(2) Zusätzlich entfällt ein Zinsaufschlag, den der Rettungsfonds bisher kalkuliert hatte. Dieser Vorteil beträgt 1,4 Milliarden Euro. Zudem vergibt der Rettungsfonds alle Kredite zum „Selbstkostenpreis“, das heißt, es werden keinerlei Risikoprämien für den durchaus als wahrscheinlich zu bezeichnenden Kreditausfall Griechenlands kalkuliert.

(3) Schließlich sollen Zinsgewinne überwiesen werden, die die EZB und die Notenbanken der Eurostaaten aus dem Anleihekaufprogramm für finanzschwache Eurostaaten (SMP) erwirtschaftet haben. Die Risikoprämien für Kreditausfälle Griechenlands dieser ehemals frei gehandelten Anleihen, die nur durch das zweite und dritte Hilfsprogramm nicht stattfanden, werden nun an den Krisenstaat zurückgegeben – etwa 17 Milliarden Euro. Diese Maßnahme grenzt an einen Voodoo-Zauber: Man hilft durch ein weiteres Programm, weil man sonst Ausfallkosten hätte und schreibt die Ersparnisse dem Hilfenehmer gut.

Insgesamt ergeben die aktuellen Vereinbarungen einen Schuldenvorteil von knapp 48 Milliarden Euro, wobei Deutschland mit 25,6 Prozent beteiligt ist. Darüber wurde weder in der Eurogruppe noch von Angela Merkel oder ihrem Finanzminister Olaf Scholz im Bundestag berichtet – ein grober Verstoß gegen das Haushaltsrecht. Zusammen mit den von 2012 bis 2017 bereits erfolgten Schuldenreduzierungen belaufen sich die Vorteile auf insgesamt 320 bis 337 Milliarden Euro. Davon entfallen auf Deutschland 52,1 Milliarden Euro – die nirgendwo verbucht sind. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt Griechenlands von aktuell 180 Milliarden Euro entsprechen die Schuldenerleichterungen insgesamt 177 Prozent der Jahresproduktion bzw. haben die gleiche Höhe der derzeitigen Staatsverschuldung von 325 Milliarden Euro erreicht.

Unverzinste Kreditpapiere mit unendlicher Laufzeit?

Mit der aktuellen Vereinbarung haben die Eurogruppe und die deutsche Regierung mehrere Vorteile erkauft. Der als Erfolg der Hilfsprogramme vermeldete Kapitalmarktzutritt Griechenlands („auf eigenen Füßen stehen“) findet weitgehend gar nicht statt, da die aktuellen Schuldenvereinbarungen bei zukünftig solider griechischer Haushaltspolitik keine Nettoneuschulden benötigen. Die Belastung aus den laufenden Krediten wurde in die lange Zukunft verschoben. Da das Jahr 2032 als Überprüfungsdatum für weitere Maßnahmen festgeschrieben wurde, kann man nach Belieben nachsteuern.

Es gilt jedoch die ökonomische Tatsache, daß ein Kreditpapier mit unendlicher Laufzeit (keine Tilgung) bei Nullzins einen Wert von null Euro hat. Dies trifft auf die heutigen Kredithilfen für Griechenland annähernd zu. Insofern müßte ein vorsichtiger Kaufmann die Kredite abschreiben – beim Rettungsfonds, bei der EZB und im Bundeshaushalt. Doch für Eckhardt Rehberg ist das alles „Unsinn“.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.