© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Wer satt ist, ist nicht immer gut ernährt
Auf der Suche nach Pflanzensorten, die dem Mikronährstoffmangel abhelfen / Hilft die Gentechnik?
Dieter Menke

Die Bevölkerungsexplosion vor Augen, hat die Agrarforschung jahrzehntelang auf Masse statt Klasse gesetzt. Mit Erfolg, denn seit den 1960ern konnten die Getreideerträge mehr als verdreifacht werden. Dem Hunger sei man also mit dieser Strategie „im großen und ganzen gut beigekommen“, bilanziert Matin Qaim, „Deutschlands einflußreichster Agrarökonom“ (FAZ), Professor für Welternährungswirtschaft an der Universität Göttingen. Allerdings nur unter dem Aspekt „kalorische Sättigung“ durch Grundnahrungsmittel wie Mais, Reis oder Maniok. Das heißt: Viel mehr Menschen werden satt, bleiben aber schlecht ernährt.

Das Tausend-Tage-Fenster der Gehirnentwicklung

Weiterhin laste auf dem globalen Süden die „dreifache Bürde einer falschen Ernährung“, so mahnt die Wissenschaftsjournalistin Edith Luschmann in ihrem Report über Unter-, Mangel- und Überernährung. Hochwertige Nahrungsmittel, die Mikronährstoffe wie die Vitamine A, B1 und D sowie Eisen, Jod oder Zink enthielten, seien Mangelware (Natur, 4/18). Nach Schätzungen von Nutrition International leiden zwei Milliarden Menschen an Mikronährstoffmangel, weil ihnen Obst, Gemüse, Milchprodukte oder Fleisch nicht ausreichend zur Verfügung stehen.

Was fatale Konsequenzen habe, wie eine 2017 in Nature publizierte Pionierstudie aus Bangladesch zeige. Dort wies ein Forscherteam an Kindern erstmals einen Zusammenhang zwischen Wachstumsverzögerung, Gehirndefiziten und Mangelernährung nach. Passieren diese Kinder das vom Ernährungswissenschaftler Konrad Biesalski (Uni Hohenheim) sogenannte Tausend-Tage-Fenster ihrer ersten drei Lebensjahre nicht mit der nötigen Ration Mikronährstoffen, trügen sie irreversible Schäden davon.

Eine These, die Untersuchungen in Bangladesch nun untermauern. Denn schon zwei bis drei Monate alte Säuglinge, deren Müttern Vitaminmangel attestiert wurde, bilden nur eine auffallend unterdurchschnittliche graue Hirnmasse aus. Verharrt die Versorgung mit diesen für Knochenwachstum, neuronale Entwicklung, vor allem für Gedächtnis und Spracherwerb wesentlichen Vitamine A und D dann bis zum dritten Geburtstag auf konstant niedrigem Niveau, beginnt eine Leidensbiographie.

Mit Nahrungsergänzungsmitteln ist langfristig nicht aus diesem „Hunger-Kartell“ auszubrechen. Die Agrarforschung hat daher einen Schwenk von Masse zu Klasse eingeleitet. So fördert etwa die Gates-Stiftung im Rahmen des „HarvestPlus“-Programms der Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung (Cgiar.org) die konventionelle Züchtung mikronährstoffreicher Pflanzen. Was aussichtsreich ist, wenn der Nährstoff im Erbgut der Sorte verankert ist. Da dieses genetische Potential der Nahrungspflanzen überraschend groß sei, wachse in Bangladesch bereits Reis mit doppelt soviel Zink wie anderswo. Und Züchtungen von Süßkartoffel- und Maissorten mit erhöhtem Gehalt an Carotinoid stehen ebenfalls zur Verfügung. Trotzdem plädiert der Agrarökonom Qaim für eine gerade hierzulande massiv verteufelte, ergänzende Alternative: die grüne Gentechnik.

An genetisch aufgerüsteten, biofortifizierten Sorten arbeiten Wissenschaftler seit 20 Jahren. Ihr bisher berühmtestes Erzeugnis, der – dank der Kombination eines Gens der Narzisse und dem eines Bakteriums – viel Beta-Carotin enthaltende „Golden Rice“, stehe aber bis heute auf kaum einem Feld. Was einerseits an Umweltbedingungen liege, die dem „Gen-Reis“ nicht überall zuträglich sind. Andererseits aber am Widerstand der Gentechnik-Gegner, die in zahlreichen Ländern starken Einfluß ausüben. Zuletzt verbot etwa das Oberste Gericht der Philippinen Nutzung und Anbau genveränderter Sorten. Aus Matin Qaims Sicht ist diese grimmige Abwehrhaltung unverständlich. Gentechnik sei zwar keine Wunderlösung, aber es sei „dumm“, derartige Bausteine für eine nachhaltige Ernährung zu verwerfen.

Ernährungsstudie „Impact of fortified biscuits on micronutrient deficiencies among primary school children in Bangladesh“:  ncbi.nlm.nih.gov