© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Grüße aus Santiago de Cuba
Heute ist alles anders
Alessandra Garcia

Nächtlicher Einkaufsbummel auf der Enramada, dem zentralen Fußgängerboulevard im Herzen der Altstadt von Santiago de Cuba. Hier gibt es kleine Cafés, Restaurants, Eisdielen und dazwischen traumhafte, aber sündhaft teure Markengeschäfte von Puma, Adidas & Co.

Aber heute ist alles anders. Irgend etwas stimmt nicht. Obwohl es bereits halb elf abends ist, haben die Geschäfte noch geöffnet. An jeder Straßenkreuzung steht ein Polizist. Das Irritierende ist, daß es nur einer ist. Wenn ein Kreuzfahrtschiff im Hafen liegt und die Sicherheit der in die Innenstadt strömenden Ausländer vor der permanenten Revolution bewacht werden muß, sind es immer ganze Grüppchen von Blauuniformierten.

Dann sind da diese angestrengt teilnahmslos herumsitzenden jungen Männer. Sie riechen geradezu nach Zivilpolizei oder Staatssicherheit. Ein Polizist läßt einen beinlosen Bettler samt Rollstuhl entfernen. Vor dem Kino hocken einige Personen am Bordstein. 

Hier erfahre ich, was los ist. Zwei Frauen raunen sich zu: Der Präsident besucht heute Santiago de Cuba, zum ersten Mal seit seiner Wahl im April. Schlagartig wird mir einiges klar. Warum seit Tagen die Fassaden, ja selbst die Papierkörbe frisch gestrichen, die Schaufenster so gut bestückt und deren Fenster geputzt wurden.

Kein Beifall für das Staatsoberhaupt, kein gnädiges Winken gegenüber den Untertanen.

Kurz vor elf Uhr fahren dunkle SUVs vor dem Rathaus vor. Sicherheitsbeamte springen heraus, weisen die nachfolgende Kolonne ein. Dann marschiert ein Weißhaariger mit Hakennase, eine zierliche Frau im bunten Kleid an der Hand, die vier Stufen zum Cespedes-Park hoch: der neue Präsident und Castro-Nachfolger. 

Handykameras leuchten auf. Der Präsident schaut sich die Aufsteller einer Wanderausstellung an. Dann läuft der Pulk auf die Enramada und es geht bergab in Richtung Alameda, der neugestalteten Hafenpromenade von Santiago de Cuba. Was mir im nachhinein auffällt, ist diese Distanz. Kein Beifall für das Staatsoberhaupt, kein Händeschütteln, kein gnädiges Winken gegenüber den Untertanen. Kein einziger, der sonst so neugierigen Santiagueros springt auf und eilt, das Schauspiel zu beobachten. Es ist, als ob man sich gegenseitig nicht wahrnehmen wolle.

Der Präsident der Republik Cuba besucht Santiago, sagt ein alter Mann auf einer Bank zu seiner Frau. Die nickt: Raul. Nein, schüttelt der Mann den Kopf: „Der neue.“ Wie der heißt, will er von einem Polizisten wissen. Der zuckt die Achseln. Es sei der Präsident.