© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Uneins auf dem Balkan
Illegale Migration: Bosnier, Kroaten und Slowenen ziehen nicht an einem Strang
Hans-Jürgen Georgi

Krisenalltag im Grenzgebiet zwischen Bosnien-Herzegowina (BiH) und Kroatien – nur 50 Kilometer vom Schengen-Land Slowenien entfernt: Suche nach Unterkünften, blutige Zusammenstöße unter den Migranten, Druck auf Politiker und genervte Einwohner. Brennpunkt ist das Gebiet des Grenzkantons Una-Sana (Bihac und Velika Kladuša) am westlichsten Zipfel Bosnien-Herzegowinas. Wie in einer Reuse sammeln sich hier die jungen Männer, die nur ein Ziel haben – ein Land im Westen Europas. Aufgehalten werden sie nur noch von der EU-Außengrenze Kroatiens.

7.926 Migranten wurden in BiH von Jahresbeginn bis Anfang Juli offiziell registriert. Die meisten von ihnen kamen aus Pakistan (2.417), Syrien (1.393), Afghanistan (980) und dem Iran (900). Allerdings dürften es mehr sein, denn immer wieder werden Illegale und ihre Helfer aufgebracht. So Anfang Juli, als sechs Personen festgenommen wurden, die Migranten über die bosnisch-kroatische Genze geschmuggelt hatten.

Lediglich 683 haben in Bosnien Asyl beantragt

„Sie haben zu 99 Prozent keinerlei Dokumente, und sie vernichten alle Beweise darüber, wie sie nach BiH gekommen sind, so daß sie nicht in das Land zurückgeschickt werden können, woher sie kamen“, klagt der Direktor des Dienstes für Ausländerangelegenheiten, Slobodan Ujic.

Obwohl die Hälfte der bis dato registrierten Migranten nach Angaben von Ujic schon „weitergereist“ seien und keiner der Migranten in BiH bleiben wolle und solle – lediglich 683 haben in BiH Asyl beantragt – hat sich die Situation alles andere als verbessert. Una-Sana ist allein nicht mehr in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu halten. Vor allem mangelt es hier an ausreichenden Unterkünften für Migranten.

Flüchtlinge kampieren in einer Bauruine des „Hauses der Pensionäre“ inmitten von Bihac, und täglich werden es mehr. Die Bewohner der 60.000- Einwohner-Stadt drohten nun mit einer Demonstration in Sarajevo, wenn nicht schleunigst Lösungen für das Problem gefunden würden. „Wir wissen nicht, wie viele sie sind, wir kennen nicht ihre Namen, noch woher sie kommen. Es sind vor allem Männer im besten Lebensalter“, klagt der Bürgermeister.

Auch die 10.000-Einwohner-Gemeinde Velika Kladuša ist überfordert. Hunderte kampieren hier in einem unbefestigten Lager am Stadtrand (JF 26/18). Medizinisch versorgt werden sie jedoch von der Privatorganisation Refugee Medical Care Slovakia. Im Gespräch mit dem ORF-Journalisten Christian Wehrschütz betont der Vorsitzende des Gemeinderates Fikret Bašic, daß auch die Gemeinde 5.000 Euro aus der Ambulanzkasse zur Verfügung gestellt habe. Bereits 15.000 Behandlungen seien durchgeführt worden. 

Die geplante Einrichtung eines größeren Aufnahmezentrums komme jedoch nicht in Frage, so Bašic, der stattdessen eine gleichmäßige Verteilung der Migranten auf alle Gemeinden in Bosnien und Herzegowina fordert. 5.000 bis 10.000 Migranten könne man nicht aufnehmen. Doch die Planungen sind kaum aufzuhalten. Am 5. Juli übergab Österreich in Sarajevo eine Hilfslieferung. Das „Shelter Equipment“ beinhaltet 56 winterfeste Familien-Zelte, 280 Feldbetten, 280 Leintücher, 1.500 Stück Einmalbettwäsche, 560 Wolldecken, 1.500 Badetücher, 56 Stück „Family Hygiene Kit IFRC“, 56 Zeltbeleuchtungen und 280 Iso-Unterlagsmatten.

Bereits Mitte Juni hatte die Europäische Kommission Bosnien-Herzegowina als Reaktion auf die Flüchtlingskrise humanitäre Hilfen in Höhe von 1,5 Millionen Euro genehmigt. 

Kroatien will Kontrollen an seiner Grenze verstärken

Ein Tropfen auf den heißen Stein?  Weiterhin sollen täglich 40 bis 60 Migranten die Grenzen von Serbien und Montenegro nach BiH überschreiten.    Neuralgischer Punkt ist dann der Grenzübergangspunkt zu Kroatien in Velika Kladuša/Maljevac. Schon im Mai 2018 hatten 60 bis 70 Personen „afro-asiatischer Herkunft“ den Grenzübergangspunkt besetzt. Mitte Juni versuchte eine Gruppe von etwa 200 Migranten die Grenze zu überschreiten. Beide Versuche konnten die kroatischen Grenzpolizisten zwar abweisen, sie verdeutlichen aber den Druck auf die EU-Außengrenze. 

Erst am 4. Juli setzten sie im kroatischen Grenzgebiet bei Korenica – zehn Kilometer entfernt von Bihac – einen Lastwagen mit 30 Pakistanern und einem Inder fest. Am selben Tag stellten die Beamten zwölf illegale Migranten aus dem Iran und Afghanistan auf dem Gebiet von Imotski (Kroatien).

Kroatien steht damit an vorderster Front. Doch Zagreb fürchtet, bei einer Verstärkung der slowenischen Grenze zum „Migranten-Hot-Spot“ zu werden. Offenbar ein Großteil von Migranten konnte Kroatien problemlos passieren. 

Offiziellen Angaben zufolge hat die Polizei in Slowenien Mitte Juni dieses Jahres 2.668 illegale Migranten entdeckt, von denen 649 in das Land zurückgeschickt wurden, aus dem sie kamen, die meisten nach Kroatien. Dies dürfte Zagreb veranlassen, die Grenze zu BiH noch stärker zu schützen, wie es der kroatische Premier Andrej Plenkovic ankündigte. 

Aber auch Sarajevo zeigt wenig Ambitionen, eine Hauptrolle bei der Migration in Richtung Schengenraum zu spielen: „Die Migranten kommen aus Ländern der Europäischen Union (Griechenland, Bulgarien) und wollen in einen anderen Teil der Union“, so Ujic, daher „müßte sich die Europäische Union mehr mit diesem Problem beschäftigen.“ 

Bosnien-Herzegowinas Sicherheitsminister Dragan Mektic fügt lapidar  hinzu: „Wir können Bosnien nicht zu einem ‘Hotspot’ machen, sondern nur ein Transitgebiet sein.“  Und Ministerpräsident Denis Zvizdic warnt vor einem Versuch der Europäischen Union und „insbesondere Kroatiens“, Bosnien zu einer „Sackgasse für Migranten“ zu machen.