© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Es geht um Einfluß und Macht
Multikulturalismus: Anmerkungen zur Wirkmacht der Netzwerke von Migranten
Thorsten Hinz

Vor vier Wochen sorgte Horst Seehofer für einen kleinen Nebeneklat. Der Bundesinnenminister ließ den sogenannten Integrationsgipfel bei der Kanzlerin ausfallen, weil er sich von einer der Teilnehmerinnen beleidigt fühlte. Es ging um einen Artikel von Ferda Ataman (Jahrgang 1979), die sich als „Deutschtürkin“ bezeichnet und als Politikwissenschaftlerin und Journalistin firmiert, ohne freilich auf diesen Gebieten je von sich reden gemacht zu haben. Seit drei Monaten darf sie immerhin bei Spiegel Online die zweiwöchentliche Kolumne „Heimatkunde“ verfassen. Die Redaktion hebt ihre spezielle „Perspektive auf die deutsche Gesellschaft und ihren unterhaltsamen Schreibstil“ hervor, mit denen sie das Netzportal „bereichert“. 

Das weckt Interesse, denn die Fremdwahrnehmung beziehungsweise der gleichzeitige Innen- und Außenblick kann den Leser zu vertiefter Erkenntnis über das Eigene führen. Als Deutschland 2015 im „Refugee Welcome“-Rausch delirierte, sorgte der britische Historiker Antony Glees mit der Bemerkung, die Bundesrepublik führe sich auf wie ein unzurechnungsfähiger „Hippiestaat“, für erste Ernüchterung. Und Deutschlands Bezeichnung als „Land der Dichter und Denker“ stammt von Madame de Staël, einer Französin. 

Atamans Text, der den Innen- und Heimatminister so erboste, war allerdings statt bei Spiegel Online auf der Internetseite der einschlägigen Amadeu-Antonio-Stiftung erschienen. Unter der Überschrift „Vielfalt ist Heimat“ verortete die Autorin Deutschland im Strudel einer „rassistischen Abwärtsspirale“, weil: „Wir reden erst über Heimatsehnsucht, seit viele Geflüchtete gekommen sind. Politiker, die derzeit über Heimat reden, suchen in der Regel eine Antwort auf die grassierende ‘Fremdenangst’.“ In Rage versetzte Seehofer diese Passage: „Denn in diesem Kontext kann Heimat nur bedeuten, daß es um Blut und Boden geht: Deutschland als Heimat der Menschen, die zuerst hier waren. Und also auch bestimmte Vorrechte haben. Hier wird Heimat zum weniger verpönten Begriff für ‘Volk’ und ‘Nation’.“

Man muß den geballten Unfug nicht aufdröseln. Nur soviel: Natürlich haben die Einheimischen bestimmte Vorrechte. Sie ergeben sich allein schon aus der Staatsbürgerschaft, die ihre Inhaber im eigenen Land mit Privilegien ausstattet. Mit der wissenschaftlichen und journalistischen Qualifikation Frau Atamans ist es offenkundig nicht weit her. Vor allem ist sie eine umtriebige Multifunktionärin und Lobbyistin, Sprecherin der „Neuen deutschen Medienmacher“, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ mit der nationalen Umsetzung des „No Hate Speech Movement“ beauftragt wurde.

Außerdem ist Ferda Ataman Gründerin der „Neuen Deutschen Organisationen“, die unter anderem vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) finanziert wird, den die Soziologin Necla Kelek als „das Politbüro der deutschen Migrationspolitik“ bezeichnete und zu dessen Sponsoren die Volkswagen- und die Bertelsmann-Stiftung gehören. Außerdem ist sie Mitgründerin des Mediendienstes Integration, der auch von der Amadeu-Antonio-Stiftung gefördert wird. Kurzum: Ataman und ihre Mitstreiter genießen staatliche und halbstaatliche Protektion.

Ihre Vision von Deutschland lautet: Deutschland ist die Heimat der Erinnerungskultur! Der Religionsfreiheit! Der Vielfalt! Der Weltoffenheit! Das reicht aus, um auf der Pressekonferenz nach dem Integrationsgipfel neben der Kanzlerin sitzen zu dürfen, eine lange Erklärung zu verlesen – die auch Passagen aus dem umstrittenen Artikel enthielt – und überdies ein Antidiskriminierungsgesetz zu verlangen.

Erinnerungskultur heißt hier konkret: Die Nazi-Keule muß auch für die Migrantenorganisationen unbegrenzt verfügbar bleiben. Religionsfreiheit bedeutet: Freie Bahn für den Islam. Und über den Begriff „Vielfalt“ hat Manfred Kleine-Hartlage im Buch „Die Sprache der BRD“ geschrieben, daß damit eine den westlichen Ländern zugedachte „ethnische Vielfalt“ und „Gemengelage“ gemeint ist, „wie sie etwa für den Libanon, den Kongo oder das ehemalige Jugoslawien typisch sind oder waren“. An den Berliner Schulen, wo die Vielfalt längst triumphale Siege feiert, erfüllen drei Viertel der Drittkläßler nicht mehr die Mindestanforderungen im Fach Deutsch. Und fast zwei Drittel der Berliner Polizeischüler kommen beim schriftlichen Deutschtest über die Note 6 nicht hinaus. Solche Vielfalt bedeutet Gleichschaltung auf unterstem Niveau und in fernerer Perspektive den scheiternden Staat. 

Ähnlich steht es um die Weltoffenheit, die weder vertiefte Weltkenntnis noch den offenen Blick für andere Länder und Kulturen bezeichnet. Strategisch geht es um anti-europäischen Rassismus. Wer tatsächlich die offene Auseinandersetzung mit den Folgen der Zuwanderung aus der Dritten Welt oder mit dem Islam wagt, macht sich unweigerlich zur Zielscheibe von Attacken aus Medien, Politik, Kirchen, dem akademischen Betrieb und islamischen Vereinen. Betroffen sind auch liberale Muslime und Islamkritiker wie Seyran Ates, Necla Kelek, Hamed Abdel-Samad oder Imad Karim. Einige von ihnen stehen unter Polizeischutz. In Atamans Kolumnen ist das kein Thema.

Was will also der migrantische Journalismus der „Neuen deutschen Medienmacher“, und was für Journalisten haben diese Organisation nötig? Nur zur Erinnerung: Gleichgültig, ob man die sprachlich glänzenden Artikel von Adam Soboczynski, Leiter des Zeit-Feuilletons, mit Zustimmung oder Ablehnung liest; Gewinn aus der Lektüre zieht man auf jeden Fall. Daß Soboczynski gebürtiger Pole ist, interessiert den Leser höchstens als biographische Fußnote. Einen Migranten- oder Antidiskriminierungsbonus hat er nicht nötig. 

Im Gegensatz zu Ataman & Co. Um in der Sache ernst genommen zu werden, müßten sie sich erst einmal die Frage vorlegen, warum es fast immer Moslems und nicht etwa Vietnamesen sind, die über Benachteiligungen klagen. Warum unter den Zuwanderern überwiegend Moslems Probleme bereiten. Warum in sämtlichen westlichen Ländern ausgerechnet die muslimische Massenzuwanderung als Zumutung empfunden wird.

Stattdessen wird versucht, mit Diskriminierungs-Suada und Deutschen-Bashing Karriere zu machen. Über Deniz Yücel, der sich über den deutschen „Volkstod“ freute, ist alles gesagt. Atamans Kollegin Mely Kiyak bezeichnete Thilo Sarrazin als „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“. Von seinen mit mathematischer Präzision gearbeiteten Büchern fühlte sie sich offenbar überfordert. Hätte ein Herkunftsdeutscher sich über Wolfgang Schäuble vergleichbar geäußert, nachdem der sich über deutsche „Inzucht“ ausgelassen hatte, wäre seine berufliche Existenz für immer zerstört gewesen. Nicht so bei Frau Kiyak, die auf Zeit Online unverdrossen ihre monothematische „Deutschstunde“ über Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus abhalten darf. Während sie über Benachteiligung jammert, läßt sie sich mittels positiver Diskriminierung protegieren!

So wird identitätspolitisch ausgeglichen, was an Niveau und Klasse fehlt. Eine neue, von der Migrationsprofessorin Naika Foroutan aufgebrachte These lautet, daß auch die Ostdeutschen eigentlich Migranten seien und sich dadurch Gemeinsamkeiten ergäben. Mit scheinbarer Nachsicht werden die überproportionalen Wahlerfolge der AfD im Osten als Trotzreaktion gegenüber der westdeutschen Mehrheit bewertet und mit der Hinwendung von Muslimen in Deutschland zum Islamismus verglichen. Mit dem Effekt, daß die einen als Trottel herabgesetzt und die anderen als solche verharmlost werden.

Tatsächlich erlebten die Ostdeutschen nach 1989 eine Entfremdung, weil die ökonomische Basis wegbrach und sich der institutionelle und geistig-ideologische Überbau des Westens über sie schob. Zu den bösartigsten Entfremdungszwängen zählte gerade die Multikulturalismus-Ideologie, der Ataman, Kiyak und andere ihren relativen Erfolg verdanken. Während diese Ideologie in der Praxis noch Zerstörungskraft entfaltet, fällt sie als Theorie in sich zusammen und erweist die östliche Renitenz sich als richtig. 

Unterm Strich geht es um Einfluß, Definitionshoheit, um Macht. Auf den Satz von Alexander Gauland: „Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land“, erwiderte der Journalist und Spiegel Online-Korrespondent Hasnain Kazim: „Gewöhn dich dran: Wir sind hier, werden immer mehr und beanspruchen Deutschland für uns. Ob du willst oder nicht.“ Solche aggressiven Aussagen sind ernst zu nehmen! Die Erklärungen des CSU-Heimatministers wirken dagegen verzagt und schwächlich. Man wird besser fundierte und entschiedenere Antworten finden müssen.





Integrationsgipfel

Die Integrationsgipfel finden seit 2006 im Berliner Kanzleramt statt, der zehnte und bislang letzte am 13. Juni dieses Jahres. An den Konferenzen nehmen Vertreter aus Politik, Medien, Migrantenverbänden und Kirchen, Arbeitgeberinstitutionen, Gewerkschaften und Sportverbänden teil. Im Kern geht es dabei jeweils um die Integration von Zuwanderern, auch um jene, „die hier geboren sind oder schon in jungen Jahren hierhergekommen sind“, wie Kanzlerin Angela Merkel im Juni erklärte. Immerhin hätten in Deutschland inzwischen rund 20 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Auf der anschließenden Pressekonferenz sagte Ferda Ataman, Sprecherin des 2015 ins Leben gerufenen bundesweiten Netzwerks „Neue Deutsche Organisationen“,  Deutschland sei schon immer von Migration geprägt und längst eine Einwanderungsgesellschaft. Eine Einteilung in Migranten und Deutsche funktioniere nicht mehr. (tha)