© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Ich will keine Ratte sein“ – eine Bekannte bei den Öffentlich-Rechtlichen beichtet mir, daß sie inzwischen ebenfalls Zuflucht im brandenburgischen Umland suche. Ich verstehe es zunächst nicht, darauf sie: „Na ich will doch nicht auf dem sinkenden Schiff sein.“ Denke danach, daß der Eingangssatz der treffliche Titel eines Romans oder besser eines Theaterstücks wäre. Dabei muß ohnehin alles umdefiniert werden. „Entgrenzt“ zeigt sich dementsprechend Diskurs-Domina Carolin Emcke in ihrer jüngsten Kolumne in der Süddeutschen: Nachdem der Flüchling augenscheinlich ausgedient hat, erscheine auch das Wort „’Geflüchtete’ erstaunlich ungenau.“ Vielmehr seien diese „Zufluchtslose“, da es für sie kein Ankommen gäbe. Willkommen im Weltjudentum von Ahasver! Auch die Beschreibung „Zufluchtslos“ oder dessen Pluralform eigneten sich vortrefflich als Titel für ein Drama. 


Die Bildredakteurin aus der Nachbarschaft sieht es dagegen pragmatisch – und unverhofft dichterisch: „Ich bin nach Deutschland / für England.“ Das gilt auch für ihre neue Ehe mit einem Araber, denn: „Es gibt doch nur eine Möglichkeit: abschieben oder heiraten.“ Im Café des Westsektors warnt am Eingang zur Küche nicht zufällig eine Karte mit der Aufschrift: „Achtung / Sie verlassen jetzt den politisch korrekten Sektor“. Der Beweis folgt sogleich, als wir vor der Partie England vs. Panama über Fußballwetten diskutieren. Sofort werden die Chancen Panamas kleingeredet: „Da spielt aber Noriega nicht mehr mit.“ Oder später: „Jetzt spielt Schweiz gegen Schweden – also Albanien gegen Bosnien.“ Beim Viertelfinale Kroatiens gegen Rußland werde ich scherzhaft gefragt, wann Deutschland denn wieder spiele, worauf ich entgegne, wir spielten seit 1945 nicht mehr mit. Darauf schaltet sich der russische Gast ein: „Das ist auch richtig so.“ Als die Russen nach der Niederlage fluchtartig abziehen, verzichte ich auf ein „Doswidanja.“ 


Die Berliner Modewoche indes dominieren die USA: Beim „EU Sustainable Fashion Festival“ singt das Duo Soul Bros erneut seinen enervierenden Cover-Hit „Bad boys, bad boys“ – immerhin ist mit dem Schauspieler Eric Roberts diesmal wirklich ein Spezialist hierfür vor Ort. Als die Moderatorin das Publikum nach der Nutzung ökologischer Produkte und erneuerbarer Energie befragt, hebt sich kaum ein Arm – dafür fällt für eine halbe Stunde der Strom aus. Darauf so nüchtern wie wahrhaftig der Kommentar der Modeverkäuferin von nebenan, der ich davon berichte: „Die nachhaltigste Mode ist natürlich Second hand.“