© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Verletzlich und verletzend
Selbstmitleidige Aggressivität: Margarethe von Trottas Dokumentarfilm „Auf der Suche nach Ingmar Bergman“
Sebastian Hennig

Weit voneinander entfernt, auf der Insel Fårö und in der Stadt Rom, starben am 30. Juli 2007 zwei in ihrer künstlerisch Wirkung sehr verbundene Meister des europäischen Kinos. Die schwarzweißen Lichtspiele von Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni etablierten eine psycho-graphische Bildästhetik des Zweifels, der Leere und der Einsamkeit. In Filmen wie „La notte“ (1961) und „Das siebente Siegel“ (1957) gelangte die fühllose Erschöpfung der Nachkriegsjahre exemplarisch zum Ausdruck. 

Margarethe von Trotta hat eine Dokumentation über den am 14. Juli vor einhundert Jahren geborenen Bergman gedreht, in der sie als eine von vielen Frauen figuriert, die von ihm affiziert wurden. „Das siebente Siegel“ regte in ihr den Wunsch, selbst Filme zu machen, deren jüngster jetzt „Auf der Suche nach Ingmar Bergman“ den Kreis schließt.

Entstanden ist das Porträt eines faszinierenden Ekels, das sich stets in eine Wolke bemutternder Weiblichkeit hüllte, um seine Infantilität von jeder Eigenverantwortung freizuhalten. Seine gefälligen Inszenierungen der weiblichen Aura wirken nach dem von Nietzsche formulierten Prinzip, daß die Frauen durch die Männer bedeutend zu werden trachten, während diese durch jene sich beliebt machen. Die Schauspielerinnen Gaby Dohm, Gunnel Lindblom, Liv Ullmann, Rita Russek, Julia Dufvenius und die Assistentin Katinka Faragó vermitteln damit eine Art positiver „Me too“-Erfahrung, deren dunklere Kehrseite offenbar allein die Männer betroffen hat, die familiär oder beruflich mit Bergman in Beziehung standen.

Einer seiner Söhne fragt: „Wenn du deine eigene Kindheit so gut verstehst, warum verstehst du dein eigenes Kind nicht?“ Das in den Filmen enthaltene Gift erweist sich als ein schwacher Abstrich der tatsächlichen Dosis im Filmemacher. Wenn sein Sohn berichtet, wie Bergman bei den Frauen die Schwangerschaft als Liebesbeweis erstrebt habe, um sie danach zu verlassen, so klingt das wie eine Inszenierung von Søren Kierkegaards „Tagebuch eines Verführers“.

Rühmende Tiraden von Kritikern und Kollegen

Damit das Bild des Meisters sich nicht zu sehr verfinstert, werden diese knappen Enthüllungen von rühmenden Tiraden der Filmkritiker und Regiekollegen zugedeckt. Wie gewaltig die Abgründe tatsächlich klafften, läßt der Schauspieler Stellan Skarsgård in einem Interview deutlich werden: „Ich habe zweimal mit ihm zusammengearbeitet, und das hat großen Spaß gemacht. Aber was keinen Spaß gemacht hat, war die Atmosphäre, die er für das gesamte Ensemble schuf. Sie haben über alles gelacht, was er sagte, wenn er Witze machte – wie Bedienstete. Es lag solch eine Furcht in der Luft, selbst wenn Bergman vergnügt war. Denn alle wußten, daß er ohne weiteres ganz leicht und wie aus heiterem Himmel ihre Karrieren vernichten konnte. Er war auch nicht sehr loyal.“

Tatsächlich ist diese selbstmitleidige Aggressivität in allen Dokumentaraufnahmen am Habitus Bergmans gut zu beobachten. Hier wirkt ein ebenso verletzlicher wie verletzender Typus, dem es gelungen ist, die unangenehmen Züge in seinen ebenfalls unangenehmen Filmen immerhin bedeutend werden zu lassen.

Die tiefste Ehrenkränkung empfindet er, als er 1976 ins Visier der schwedischen Steuerfahndung gerät und nach Deutschland ausweicht. Der Frankfurter Goethe-Preisträger gebärdet sich wie ein politisch Verfolgter. Den nachfolgenden Jahren in München wendet sich der Film ausführlich zu. Bergman erhoffte sich über die hypnotische Gewalt des Kinos seine Anerkennung als dramatischer Autor.

Von dieser schlecht verhohlenen Ambition zeugt auch seine Strategie am Münchner Residenztheater. Eine Bühnenfassung seiner „Szenen einer Ehe“ flankiert er mit Inszenierungen der Dramen von Strindberg und Ibsen. Das Publikum allerdings gibt dem Regisseur den Vorzug vor dem Autor Bergman. Sein damaliger Regieassistent berichtet von der tiefen Depression und daß Bergman eine damals in Mode gekommene Urschrei-Therapie erwogen hat. Rita Russek, die im gleichen Hochhaus in Bogenhausen wohnt, bezeichnet ihn als „eigentlich auch ein ziemlich armes Schwein in vieler Beziehung“. Bergman selbst meinte: „Ich habe mich stets einsam gefühlt in der Welt da draußen und mich deshalb ins Filmemachen geflüchtet. Doch jedes Gefühl einer Zusammengehörigkeit ist Illusion.“ 

Hans-Christoph Blumenberg hat in seiner Besprechung der Filmfestspiele von Venedig 1983 Bergman gemeinsam mit Fellini als Regisseure gekennzeichnet, „auf die der gewaltsam hergestellte Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz nie zutraf. (…) Sie sind die verhätschelten Stars einer multinationalen Industrie, die individuelle Handschriften von Filmemachern nicht nur duldet, sondern geradezu mit kultischer Andacht für sich vereinnahmt: wenn sie sich, ohne Risiko, als eingeführte Markenzeichen längst bewährt haben.“

Die Umrisse dieser Marke Ingmar Bergman hat Margarethe von Trotta in ihrem Film noch einmal dick nachgezogen.