© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Wallfahrtsort, Pilgerstätte, nationales Heiligtum
Matthias Grünzigs stramm „antifaschistische“ Geschichte der Garnisonkirche in Potsdam
Oliver Busch

Als das „Lutherjahr“ die Zielgerade erreichte, im Herbst 2017, begann in Potsdam der Wiederaufbau der Garnisonkirche. Begleitet von den Pöbeleien der gewaltaffinen „Antifa“, die als Fußvolk der politischen Klasse längst in der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft daheim ist. Beim Gottesdienst, in Anwesenheit des Bundespräsidenten, wurde die Pfarrerin als „Nazischlampe“ tituliert, ihrem Bischof unterbrach ein herzhaftes „Fahr zur Hölle!“ die Predigt und „im Namen des preußenkritischen Pazifismus“ kam dann auch noch die in diesen Kreisen so beliebte Buttersäure zum Einsatz. 

Die in der Zeit für Religion zuständige Redakteurin Evelyne Finger zeigt in ihrem Beitrag zum 50. Jahrestag der vom SED-Regime verfügten Sprengung der spätbarocken Kirche ein gewisses Unverständnis ob solcher Überspanntheiten (Die Zeit vom 21. Juni 2018). Nicht, daß sie ihr fremd wären. Denn das von der SED übernommene, den preußisch-deutschen „Nationalismus und Militarismus“ in wollüstiger Selbstvergessenheit ächtende „Staatsverständnis des heutigen Deutschland“ speist sich aus dem „antifaschistischen“ Geschichtsbild der Mauer-Republik, an das Finger und ihre linksliberale Leserschaft im Kern bis heute fest glauben.

Nur ganz so primitiv wie von den prolligen Gegnern des Wiederaufbaus sollte es bitte heute nicht vermittelt werden. Gefragt ist vielmehr ein Preußen, das auch Wohlfühlbedürfnisse des Jauch & Joop-Potsdams befriedigt. Die 2008 gegründete, neuprotestantisch-pazifistisch temperierte Stiftung Garnisonkirche will solche Wünsche erfüllen. Dafür steht der auf „Maß, Mitte, Mäßigung“ (Dolf Sternberger) abonnierte Historiker Paul Nolte (FU Berlin) als kommissarischer Vorsitzender ihres wissenschaftlichen Beirats. Nolte garantiert, daß sich Besuchern am bald wiedererstandenen Symbolort Garnisonkirche ein Preußen à la carte bietet, das für Alt-Bischof Wolfgang Huber von der „abgründigen Ambivalenz der deutschen Geschichte“ zeugen soll. Mit maximalem Grusel vor den „Nachtseiten“, Nation, Staat, Militär, also dem historisch Wesentlichen. Und wenigen für BRD-kompatibel erachteten Lichtblicken, Friedrich des Großen Aufklärung, Bismarcks Sozialreformen, Stauffenbergs und Tresckows Widerstand. Ein Ragout, lustigerweise kredenzt unter dem neuprotestantischen Credo: „Geschichte erinnern“. Eine wie üblich höchst selektive Erinnerung, verabfolgt in der „Schule des Gewissens“, die im Turm zu finden sein wird, mit Ausstellung, Bibliothek und Seminarräumen.  

Dort steht dann sicher auch Mat-thias Grünzigs mit der Kulturbarbarei der Sprengung schließende Geschichte der Garnisonkirche im Regal. Sie erhebt den Anspruch, ausschließlich „Fakten zu präsentieren“, um einen neutralen, weder für Gegner noch für Befürworter Partei ergreifenden Beitrag zur Wiederaufbaudebatte zu leisten.

In der Tat rechtfertigt es die fleißige Aktenauswertung, der Arbeit zumindest streckenweise wissenschaftliche Objektivität zuzubilligen. In drei der Zeit von 1918 bis 1945 gewidmeten Hauptkapiteln – die DDR-Ära des noch im April 1945 durch angelsächsischen Bombenterror schwer beschädigten Gotteshauses handelt der „freie Journalist und Fachexperte für Denkmalpflege“ eher im Schnellgang ab – rekonstruiert Grünzig die Geschichte der Kirche als „Wallfahrtsort“, „Pilgerstätte“, „nationales Heiligtum“ im politischen Spannungsfeld der 1920er und 1930er Jahre.

Klage über militaristischen“ Weg „Potsdamer Geistes“

Zwei Anhänge geben eine ausführliche Chronik der politischen Veranstaltungen, Gedenk- und Gedächtnisfeiern, Fest- und Trauergottesdienste, die den Potsdamer Erinnerungsalltag prägten. Gegen seine allenthalben spürbare Intention, Komplexität zu reduzieren, hält doch die Fülle des Materials den Verfasser oft genug davon ab, den gedächtnispolitischen Umgang mit dem monumentalen Bau nachträglich über einen ideologischen Kamm zu scheren. 

Unter der drückenden Last der Quellen muß er stattdessen die Kämpfe zwischen einer Vielzahl von „Nutzern“, von Interessenten an der Instrumentalisierung der Grabstätte der beiden bedeutendsten Preußenkönige, detailliert vergegenwärtigen. Deutschnationale, Alldeutsche, preußische Monarchisten, Nationalsozialisten, das Militär am Traditionsstandort Potsdam, Reichskriegerbund und „Stahlhelm“, Zivil- und Militärgemeinde und nicht zuletzt der Gemeindekirchenrat, der seinen symbolträchtigen Besitz zum Unwillen des Militärs allzu hemmungslos touristisch vermarktete, machten den Symbolbau wirklich zum „Kampfplatz Potsdam“.

Leider verabsäumt es Grünzig, diese Auseinandersetzungen um die geschichtspolitische Deutungsmacht aus weltanschaulichen Gegensätzen innerhalb des bunt gesprenkelten „nationalen Lagers“ herzuleiten. So muß sich der „Kampfplatz“ doch wieder ins altvertraute SED-Raster pressen lassen, dem zufolge der schnurgerade „militaristische“ Weg des „Potsdamer Geistes“ schnurstracks vom Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. zu Adolf Hitler, von den „Langen Kerls“ zur SS führte und Preußen ohnehin 250 Jahre lang auf die „Nazi-Herrschaft“ zusteuerte. Entsprechend eignet sich diese Geschichtsklitterung nicht für Genießer „abgründiger Ambivalenz“ deutscher Geschichte, sondern eher für die Buttersäure-Fraktion unter Preußens Feinden. 

Matthias Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert. Metropol Verlag, Berlin 2017, broschiert, 383 Seiten, 24 Euro