© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Das Wirtschaftsinstitut DIW agitiert gegen russisches Erdgas
Teure Alternativen
Thomas Fasbender

Rund 490 Milliarden Kubikmeter Erdgas haben die 28 EU-Länder voriges Jahr verbraucht – mit deutlich steigender Tendenz. Fast die Hälfte davon hätte in Form von Flüssiggas (LNG) aus Katar oder den USA importiert werden können. So groß ist die Kapazität der über 30 Gasterminals an den Küsten Europas. Doch die Anlagen sind nicht einmal zu einem Viertel ausgelastet. Warum? Norwegen, Großbritannien und die Niederlande fördern 200 Milliarden Kubikmeter – und aus Rußland kommt günstigeres Pipelinegas. 2017 waren es 193 Milliarden Kubikmeter.

Die Wahlmöglichkeiten zur EU-Gasversorgung waren entsprechend hoch. Selbst bei einem Komplett­ausfall des Transits durch die Krisenregion Ukraine könnten die dann fehlenden 90 Milliarden Kubikmeter als Flüssiggas am internationalen Markt eingekauft und verarbeitet werden – allerdings zu einem deutlich höheren Preis. Beispiel Asien: Dort, wo es (noch) keine russische Pipeline-Konkurrenz gibt, kostet der Kubikmeter Erdgas bis zu 50 Prozent mehr. Je nach Szenario veranschlagt das Energiewirtschaftliche Institut an der Uni Köln den Spareffekt für die EU-Verbraucher im Jahr 2020 mit acht bis 24 Milliarden Euro.

Zwei Faktoren bewirken, daß die EU künftig noch mehr Gas importieren muß: der Atom- und Kohleausstieg und das Schrumpfen der eigenen Gasreserven. Wurde 2015 noch ein rückläufiger Verbrauch erwartet, hat sich der Trend seit der Pariser Klimakonferenz umgekehrt. Erdgas verursacht gut 40 Prozent weniger CO2 -Ausstoß je Energieeinheit als Kohle. Außerdem gibt es kaum Feinstaub-, Schwefel- und Stickoxidemissionen.

2017 stieg der Gasverbrauch in der EU um sechs Prozent (26 Milliarden Kubikmeter). Das allein entspricht der halben Kapazität der geplanten Nord-Stream-2-Pipeline, gegen die nun auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) agitiert. Doch die Herausforderungen sind gewaltig: den Rückgang der eigenen Gasproduktion kompensieren; auf das Wachstum vorbereitet sein; Versorgungssicherheit und -vielfalt gewährleisten. In Summe bedeutet das: Der gleichzeitige Ausbau der Flüssiggas-Infrastruktur und der russischen Pipelines ist alternativlos.

Die LNG- und die US-Frackinglobby wollen ihre Terminalkapazitäten auslasten und Rendite einfahren. Kein Wunder, daß die Atlantiker vom Baltikum bis Washington das Nord- Stream-Projekt bekämpfen. Nord Stream 2 wird als deutsch-russischer Sonderweg, gar als Verrat an Europa geschmäht – dabei ist die Pipeline integraler Bestandteil des EU-Energiemarkts. Donald Trump bezichtigte die Bundesregierung des Kreml-Vasallentums. Warum? Nicht nur wegen angeblich zu geringer Rüstungsausgaben – auch weil die Deutschen bislang kein Flüssiggas „Made in USA“ kaufen.

Analyse zur deutschen Erdgasversorgung im DIW Wochenbericht (27/18):  www.diw.de