© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Ein Fahrplan für die Haftungsunion
Euro-Krise: Deutsche und französische Ökonomen fordern die Bundesregierung auf, in der Währungsunion rote Linien zu überschreiten
Joachim Starbatty

Vor acht Wochen warnten 154 deutsche Ökonomen in einem Aufruf davor, daß die geplanten EU-Reformen zu einer Vertiefung der Haftungsunion führen würden (JF 22/18). Nun antworten 14 deutsche und französische Fachkollegen – und fordern quasi das Gegenteil. Sie rufen die Bundesregierung auf, in der Währungsunion rote Linien zu überschreiten. Die Eurozone sollte ursprünglich eine Stabilitätsgemeinschaft werden, stattdessen haben wir längst einen Euro, der Europa nicht eint, sondern spaltet: Für die nördlichen Mitgliedsländer ist er zu niedrig bewertet, für die südliche Peripherie zu hoch.

Die guten Risiken sollen für die schlechten haften

Es gibt drei Möglichkeiten, diese Spaltung zu überwinden:

• Ein Ausscheiden der schwachen/starken Mitgliedsländer aus der Eurozone – das ist von der Politik nicht gewollt.

• Die Rückgewinnung internationaler Wettbewerbsfähigkeit über Lohnsenkungen und Kürzung von Sozialleistungen – das stößt in den Euro-Schuldnerländern auf massiven Widerstand,

• es bleibt: der Übergang in eine umfassende Haftungsunion.

Noch ziert sich die Große Koalition, offen rote Linien in Richtung einer Haftungsunion zu überschreiten; speziell den Unionswählern war anderes versprochen worden. Schließlich wird die Bundesregierung es aber tun: Für Angela Merkel ist der Euro ja alternativlos. Die 14 Ökonomen liefern nun den Fahrplan für die notwendigen Tabubrüche.

Ein erster ist die Einführung einer gemeinsamen Einlagensicherung (Edis). Die Sparkassen sowie die Volks- und Raiffeisenbanken wehren sich gegen die Vergemeinschaftung – in Wirklichkeit eine Enteignung – ihrer gut gefüllten Rücklagen. Sie wissen auch um die verborgenen Risiken in den Bankbilanzen anderer Euro-Staaten. Sollte Edis kommen, macht sich „Moral Hazard“ breit: Sollen sich doch die anderen an die Regeln halten; ich will von einem risikoreichen Regelverstoß profitieren; wenn es schiefgeht, haften auch die anderen.

Die 14 Ökonomen ermutigen die Staats- und Regierungschefs den Zugang zu ESM-Krediten flexibler zu gestalten, also die Kreditanforderungen herabzusetzen; zugleich schlagen sie eine Ausgabenregel mit dem expliziten Ziel des langfristigen Schuldenabbaus vor. Warum sollen die Mitgliedstaaten sich der Mühe unterziehen, Schulden abzubauen, wenn sie jederzeit flexiblen Zugang zu Krediten haben? Sie plädieren für geordnete Schuldenschnitte – mit Verlustbeteiligung der privaten Gläubiger. Einige Länder in der Eurozone sind überschuldet, aber Schuldenschnitte darf es erst nach einem Ausscheiden aus der Währungsunion geben. Sonst könnte für ein betroffenes Mitgliedsland bald wieder ein Schuldenschnitt fällig sein. Welcher Staat würde Anleihen verzinsen und zurückzahlen, wenn der Nachbarstaat seine Schulden erlassen bekommt? Welcher inländische oder ausländische Anleger würde in Papiere solcher Staaten investieren, wenn er befürchten muß, von Zeit zu Zeit geschröpft zu werden? Da werden die Zinsen nach oben schießen.

Die Gefahr, daß die Staatsanleihen notleidender Schuldnerländer nicht mehr gekauft werden, sehen auch die 14 Ökonomen. Um den Teufelskreis zwischen Staaten und Banken zu durchbrechen, schlagen sie vor, daß bei hoher Konzentration nationaler Staatsanleihen in den Bankbilanzen Eigenkapitalanforderungen vorgesehen sein sollten. Das schlägt die Bundesbank seit langem vor, ohne daß die Politiker darauf reagiert hätten. Warum sollten sie auf die 14 Ökonomen hören? Sie fordern vor allem sichere Wertpapiere. Damit sind nicht Aktien, sondern Staatsanleihen gemeint. Wodurch werden diese sicherer? Wenn die guten Risiken für die schlechten haften, also wollen sie Eurobonds. Eine Konstruktion, wo die einen haften und die anderen Geld ausgeben, hat in der Welt noch nie funktioniert. Eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung könnte nach ihrer Auffassung helfen, tiefe Rezessionen und Krisen zu vermeiden. Zunächst ist festzuhalten, daß die südliche Peripherie Rezessionen und Krisen durchlitten hat, weil der Euro ihnen wie ein Würgeeisen die Luft abschnürt. Die 14 Ökonomen wollen aber nicht, daß das Instrument zu Umverteilung führt. Wie das bei einem Euro gelingen kann, der die Eurozone spaltet, verschweigen sie.

Zum Schluß fordern sie, daß Maßnahmen zur weiteren Reduzierung fauler Kredite und zur Verhinderung eines künftigen Ausstiegs rasch umgesetzt werden sollten. Warum zögern die Regierungen? Weil dann die Banken notleidend wären und mit Steuergeldern gerettet werden müßten. Und der zukünftige Anstieg ist bereits vorprogrammiert. Gerade treibt Draghi die Banken in dubiose Risiken. Seine Staatsanleihenkäufe haben die Zinsen auf ein so niedriges Niveau gedrückt, daß hier für die Banken keine Marge mehr bleibt. Sie reichen nun Kredite zu Niedrigstzinsen an Unternehmen mit zweifelhafter Bonität aus. Sie werden in Zukunft noch stärker unter angehäuften faulen Krediten ächzen.

Trotz der geschilderten offensichtlichen Fehler haben renommierte Ökonomen wie die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel (Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) den Aufruf unterzeichnet. Auch Clemens Fuest, seit 2016 Präsident des Ifo-Instituts, gehört zu den Unterzeichnern. Was mag wohl Hans-Werner Sinn, sein Ifo-Vorgänger, dazu sagen?






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und Abgeordneter der Partei Liberal-Konservative Reformer (LKR) im Europäischen Parlament.

Professorenaufruf für Haftungsunion:  voxeu.org/

Professorenaufruf gegen die Haftungsunion:  www.hsu-hh.de/