© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Gegensätze ziehen sich an
Debattenkultur: Mit ihrem Projekt „My Country Talks“ greift die „Zeit“ eine Aktion aus dem vorigen Wahlkampfjahr auf
Boris T. Kaiser

Selten in der demokratischen Geschichte Deutschlands war die Gesellschaft so tief gespalten wie aktuell. Die Zeit und mehrere Medienpartner wollen diesem teilweise selbst mitverschuldeten Trend nun etwas entgegensetzen. Die vergangene Woche gestartete Aktion „Deutschland spricht“ ruft dazu auf, sich einmal mit jemandem zu unterhalten, der eine völlig andere politische Meinung hat als man selbst. Statt auf ideologische Aufladung und Abgrenzung gegenüber dem Andersdenkenden, setzt die Kampagne auf Dialog und gegenseitiges Verständnis. Wer sich an der Aktion beteiligen möchte, kann auf Zeit Online oder bei den Medienpartnern des Projekts einen einfachen Ja/Nein-Fragebogen zu kontroversen regionalen und nationalen Angelegenheiten ausfüllen. Nach dem Prinzip eines Datingportals werden die potentiellen gegensätzlichen Gesprächspartner anschließend miteinander verbunden. 

Am 23. September sollen dann Menschen im ganzen Land miteinander diskutieren. In privater Atmosphäre sollen, von Angesicht zu Angesicht, unterschiedliche Positionen ausgetauscht werden. Einige der Teilnehmer werden auch zu einer großen Diskussionsveranstaltung in Berlin eingeladen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Schirmherr mit einer Rede eröffnen wird. Das Experiment, an dem sich unter anderem auch ARD-Tagesschau, Spiegel Online und die Süddeutsche Zeitung beteiligen, ist Teil des internationalen Zeit-Projekts „My Country Talks“, bei dem Medien weltweit über die gleichnamige Webseite eine ähnliche Aktion ins Leben rufen können. Bei einem Test der italienischen Tageszeitung La Repubblica und der Huffington Post Italia hatten sich im Frühling bereits 600 Bürger angemeldet.

Zeit Online hatte erstmals im Wahljahr 2017 zu einem großangelegten Dialog aufgerufen. Damals meldeten sich 12.000 Menschen, von denen letztendlich 600 Paare zu einem Diskussionstreffen zusammengebracht wurden. 

Diesmal hoffen die Initiatoren auf eine noch größere Teilnehmerzahl. So löblich der Ansatz der Hamburger Wochenzeitung ist, so skeptisch darf man hoffen, daß die sich beteiligenden Pressevertreter auch ein wenig mehr dieser gepriesenen Meinungsvielfalt in ihre Berichterstattung einfließen lassen. Denn wie wenig Interesse gerade bei manchen Medienmachern an einem solchen offenen Diskurs besteht, muß derzeit ausgerechnet die Zeit-Redaktion erfahren, die für ein Pro und Contra zum Thema private Seenotrettung Anfeindungen erntet.