© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Klopfzeichen aus der Karlsruher Echokammer
Populismus: Andreas Voßkuhle versucht in der Fachzeitschrift „Der Staat“ in plumper Manier, einen Pappkameraden zu erschlagen
Wolfgang Müller

Im November 2017 sprach Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, vor Gästen der Essener Mercator-Stiftung über „Demokratie und Populismus“. Da der Redner bis zu seiner Berufung nach Karlsruhe in Freiburg Öffentliches Recht lehrte, hätte ein kritisches Publikum erwartet, über das Thema von hoher wissenschaftlicher Warte orientiert zu werden. Wie die jetzt publizierte Textfassung jedoch zeigt (Der Staat, 1/2018), ist, mit einer Lieblingssottise Theodor Mommsens zu sprechen, „selten eine Fahrt ins Blaue der Wissenschaft mit gleich leichtem Gepäck angetreten“ worden.

Was sicher daran lag, daß intellektueller Aufwand sich erübrigte. Denn Voßkuhle traf in Essen auf Gleichgesinnte, die nichts hinterfragen, sondern ihre Ansichten autoritativ bestätigt wissen wollten. Schließlich hat sich die Mercator-Stiftung, seit sie 2008 den „Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen für Integration und Migration“ mit ins Leben rief, auf vielen Ebenen regierungskonformer „politischer Kommunikation“ verschrieben. So engagierte sie sich 2012 etwa für die Imagekampagne „Ich will Europa“. Gleichzeitig floß viel Geld in die „Integration von Muslimen in Deutschland“ wie in die Propaganda für Angela Merkels Energiewende.

Der in Wahlerfolge „populistischer“ Parteien umgemünzte Widerstand gegen ihre beiden für die breite Masse der deutschen Bürger gefährlichsten, eng verknüpften elitären Katastrophenprojekte, Superstaat Europa und Masseneinwanderung, haben bei den Herrschenden und ihnen gefügigen Meinungsagenturen wie Mercator aber Verunsicherung ausgelöst. Der Jurist Voßkuhle, ein von seiner systemrelevanteren Nützlichkeit auf dem Karlsruher Posten überzeugter Favorit Merkels für die Nachfolge der Bundespräsidenten Wulff und Gauck, wirft daher immer öfter den Mantel richterlicher Neutralität ab, um in der politischen Arena gegen die „Bedrohung“ des Status quo zu agitieren.

Unverblümte Agitation fern jeder wissenschaftlichen Objektivität bietet denn auch sein Essener Vortrag. Nachdem er eingangs einräumt, der Begriff sei sperrig, weil es keine unstrittige Definition von Populismus gebe, packt er beherzt zu und kredenzt, unter eifriger Bezugnahme auf eine Bertelsmann-Studie und Gewährsmänner wie Jürgen Habermas und Heribert Prantl, den Süddeutschen Beobachter (Michael Klonovsky), fünf Merkmale „populistischer Ideologie“, mit denen sie in Widerspruch zum Demokratieverständnis des Grundgesetzes gerate. Von „fundamentaler“, weil alle anderen Widersprüche nach sich ziehender Bedeutung sei das populistische Dogma von der „absoluten Wahrheit“, über die allein das Volk, nicht die Regierenden verfüge. Daß Voßkuhle hier in die rhetorische Trickkiste greift und sich mangels seriöser Quellen einen Pappkameraden baut, der dann leicht zu erledigen ist, ist offenkundig. Kann er für den vermeintlichen Wahrheitsabsolutismus doch nur einen Beleg aus dritter Hand vorweisen, den Werbespruch der marginalen „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ aus dem Jahr 2012. 

Der simplen Methode Unterstellung bleibt er fortan treu. Wer angeblich absolute Wahrheiten predige, huldige auch dem Anti-Pluralismus, sei tendenziell gegen das Mehrparteiensystem und freie Wahlen, strebe einen „Alleinvertretungsanspruch“ an. Also wünschten sich Populisten eine Art Führerstaat. Mindestens aber eine das Parlament ausschaltende „präsidial-plebiszitäre Regierungsform“. Daher würden sich ihre Organisationen ungern „Partei“ nennen, denn dies konterkariere den Anspruch, das Ganze zu vertreten. Kleinlaut räumt er indes ein, daß Macrons La Republique en Marche ebenfalls auf den Namen Partei verzichtet. Ebenso wie CDU, Grüne oder Die Linke, was er freilich unerwähnt läßt.

Einmal im Rausch freien Phantasierens, will Voßkuhle zudem wissen, wie wenig Populisten das freie Mandat schätzen. Beleg? Wie üblich: Fehlanzeige. Stattdessen folgt nach einem wirklich witzigen Hymnus auf die von unabhängigen Abgeordneten garantierte „Pluralität und Offenheit des parlamentarischen Willensbildungsprozesses“ das der Volkskammer-Realität des Bundestags bis 2017 eher Rechnung tragende Eingeständnis, Fraktionsdisziplin und Listenplatzvergabe hätten dieses hehre Bild leider getrübt und der Demokratie „Funktionsdefizite“ beschert.

„Spezifische Rationalität“ des Bundestags vor 2017

Aber wenigstens zeichnete sich der realexistierende bundesdeutsche Parlamentarismus – bis zum Einzug der AfD-Populisten mit ihren „antidemokratischen Ressentiments“ ist im Subtext mitzulesen – stets durch „spezifische Rationalität“ aus. Wiederum eine These aus der Karlsruher Echokammer angesichts des von Merkel am Bundestag vorbei ins Werk gesetzten Unternehmens Grenzöffnung, das übrigens in etwa so rational ist wie einst das reichsdeutsche Großprojekt „Lebensraum im Osten“. 

Bliebe in Abgrenzung zu den Altparteien noch der finstere populistisch-totalitäre Plan „möglichst vollständiger Inbesitznahme aller staatlichen Ämter einschließlich der Justiz“ und der „regierungskritischen Medien“. In Ungarn, Polen und der Türkei sei er schon verwirklicht. In der Bundesrepublik, wo auch die Karlsruher Richterbank streng nach Parteienproporz besetzt ist, etwa nicht? Jedenfalls ungleich perfekter als in den von einem deutschen Verfassungsorgan derart beleidigten, auf eine Stufe mit der Erdogan-Diktatur gestellten demokratischen Rechtsstaaten Polen und Ungarn.