© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Immer unbeeindruckt vom Ablenkungsfeuer
Nachruf: Am 11. Juli 2018 ist der Militärhistoriker Generalleutnant a.D. Franz Uhle-Wettler gestorben
Stefan Scheil

Wenn ein promovierter Historiker in der Bundeswehr Generalleutnant werden kann, spricht dies für ihn und für die Bundeswehr als Institution.“ So stand es vor 1999 in dieser Zeitung zu lesen, und gemeint war Generalleutnant Franz Uhle-Wettler, der später selbst auf für die JF zur Feder greifen sollte. 

Zu dieser Zeit hatte der frühere Generalstabsoffizier und Kommandeur der Panzerlehrbrigade in Munster, zwischenzeitlich auch Kommandeur des Nato Defense College in Rom, seine militärische Karriere seit geraumer Zeit altersbedingt beendet. Das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland war ihm zu seinem Abschied verliehen worden. Nun kehrte Franz Uhle-Wettler gewissermaßen zu seiner ersten Berufung zurück und ließ beeindruckende historische Werke folgen. Sie handelten von Großadmiral Tirpitz, dem Schöpfer der deutschen Flotte, sie setzten General Erich Ludendorff ins richtige Licht, den Architekten des deutschen Sieges über Rußland im Jahr 1917, aber sie waren auch allgemein den Wendepunkten deutscher Militärgeschichte und Einzelthemen aus den Verirrungen des deutschen Geschichtsbildes in der Bundesrepublik gewidmet.

Intensive Studien über das deutsch-englische Verhältnis

So zum Beispiel die von vielen Historikern als nutzlos kritisierte deutsche Flotte, die vor 1914 eben durch Alfred von Tirpitz aufgebaut worden war und den britisch-deutschen Flottenstreit provozierte. Es kam zwischen 1914 und 1918 jedoch nie zu jener großen und entscheidenden Seeschlacht, die viele erwartet hatten, und an Kritik aus allen möglichen Richtungen wurde deshalb nach der Kriegsniederlage von 1918 nicht gespart. Uhle-Wettler wies auf die vielen Erfolge der kaiserlichen Flotte als „Fleet in being“ hin, die allein durch ihre bloße Existenz viele Militäroperationen der Engländer und auch Russen unmöglich gemacht hatte. Vorstöße in die Ostsee, Landungen an der deutschen Nordseeküste, davor hütete man sich in London tunlichst und griff schließlich aus Verzweiflung die scheinbar leichter zu überwindenden türkischen Meerengen an, wo man katastrophal scheiterte.

Das komplizierte Verhältnis zwischen England und Deutschland hatte einen Schwerpunkt in Uhle-Wettlers akademischem Werdegang gebildet. Seine Dissertation über „Staatsdenken und Englandverehrung bei den frühen Göttinger Historikern Achenwall, von Schlözer, Freiherr von Spittler, Brandes, Rehberg, Heeren“ wurde 1956 von Fritz Wagner und Wolfgang Abendroth angenommen.

Es blieb letztlich bei der Erkenntnis, daß man in England die von deutscher Seite entgegengebrachte Hochachtung nicht recht zu würdigen gewußt hatte. Vor einigen Jahren hielt der Autor dieser Zeilen einen Vortrag zu diesem Thema und wies darin als Schlüsseldokument auf das Crowe-Memorandum von 1907 hin, in dem der damalige Amtschef des britischen Außenministeriums recht unverblümt einen kompromißlosen Kurs bis zur Zerstörung Deutschlands gefordert hatte. Es sei gleichgültig, ob die gegenwärtige deutsche Regierung friedliche Absichten habe, früher oder später werde Deutschland ein aggressiver und gefährlicher Gegner sein. Franz Uhle-Wettler brachte im Anschluß daran im persönlichen Gespräch in der von ihm gewohnten, deutlichen Weise zum Ausdruck, daß er den grundsätzlichen Befund zu den englisch-deutschen Beziehungen teile, von dieser These trotzdem wenig hielt, weil er den Zeitpunkt der englischen Entschlußfassung zur Zerstörung der deutschen Reichseinheit zwanzig bis dreißig Jahre früher ansetzen wollte. 

Um auf die eingangs erwähnte Rezension seines Buches (JF 51/99) zurückzukommen: „Wenn dieser General dann nach seiner Verabschiedung als Kommandeur des ‘Nato Defense College’ in Rom umfangreiche militärgeschichtliche Werke, darunter eine Biographie des Generals Ludendorff, vorlegt, die von der ‘Zunft’ der Historiker weitgehend ignoriert werden, spricht dies nicht für die professoralen und beamteten Fachkollegen des Autors“, so hieß es dort auch. Daran hat sich nichts geändert. Aber die Wertschätzung eines Patrioten, Wissenschaftlers und überzeugten Christen wird von der Haltung dieser Zunft nicht beeinflußt und ist davon schon gar nicht abhängig. Am 11. Juli ist Franz Uhle-Wettler im Alter von neunzig Jahren verstorben.