© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

„Die Meinungsfreiheit gilt nicht mehr“
Der Kabarettist Andreas Thiel hat sein Karriereende verkündet. Seit seiner Kritik am Islam versucht man, den vormaligen Schweizer Satiriker-Star mundtot zu machen
Moritz Schwarz

Herr Thiel, gibt es für Sie noch etwas zu lachen oder ist Ihnen selbiges vergangen?

Andreas Thiel: Die Situation ist so absurd, daß einem das Lachen durchaus vergehen könnte, aber das wäre humorlos. Denn daß Satiriker Opfer der Political Correctness werden, kommt immer wieder vor. Aber erst wenn man das selbst erlebt hat, zeigt es sich, ob man selber den Humor aufbringt, darüber zu lachen. Daher ist mein Leben in den letzten Jahren eher lustiger geworden. Ich muß aber zugeben, daß es mitunter therapeutische Züge annimmt. Buddhistisch gesehen würde ich das so formulieren: Auch als Satiriker kann man an seiner Aufgabe wachsen.

Ist Satire überhaupt noch nötig? Oder sind Sie vielleicht ein Anachronismus?

Thiel: Ein Satiriker ist ein verbaler Freiheitskämpfer, seine Waffe ist die Sprache. Einen Satiriker zu entwaffnen gelingt nur, wenn man die Redefreiheit einschränkt. Die Sittenwächter der Political Correctness behaupten zwar, sie bewahrten die Menschen davor, Opfer der Sprache zu werden. In Wahrheit schützen sie ihre eigene Meinung vor dem Diskurs. Denn ein verbaler Schlagabtausch ist ein gewaltfreier Schlagabtausch. Wer Andersdenkenden jedoch die Mittel der Sprache verweigert, der läßt ihnen nur noch die Mittel der Gewalt, im Wissen darum, daß keiner so schnell bereit ist, solche anzuwenden. Die durch Political Correctness geschaffene Ruhe gleicht der Nachtruhe im Klosterinternat: Es wird unter der Bettdecke weitergeflüstert.

Unsere Gegenwart verlangt nach Political Correctness, um die verbale Gewalt einzudämmen.

Thiel: Die Political Correctness ist ein Synonym für Humorlosigkeit. Sprach­opfer gibt es nicht. So etwas wie verbale Gewalt existiert nicht. Man kann zwar verbal Gewalt androhen oder zu Gewalt aufrufen. Aber verbal Gewalt ausüben, das geht nicht. Ich würde doch als Polizist nicht einem Gewaltverbrecher zurufen: „Tritt ins Schienbein, Brustwarze umgedreht, Finger ins Auge!“, und dann warten, bis der Verbrecher zusammenbricht und ich ihm die Handschellen anlegen kann. Selbst wenn ich ihn mit den übelsten Schimpfwörtern, Drohungen und Flüchen eindecken würde, könnte man nicht von einem Einsatz von Gewalt sprechen. Ich müßte ihm schon so laut ins Ohr schreien, daß er einen Hörschaden davontrüge. Aber dann käme es ja nicht mehr darauf an, was ich ihm inhaltlich ins Ohr geschrien hätte.

Im Herbst haben Sie Ihr Karriereende bekanntgegeben. Warum?

Thiel: Es begann, als die Weltwoche Ende 2014 meinen Essay „Der Schatten des Ostens“ publizierte. Darin beleuchte ich die Inhalte des Korans quellenkritisch und im Zusammenhang mit Mohammeds Biographie. Kein Kenner der Materie wird überrascht sein, daß das Bild, welches der Leser vom Koran gewinnt, niederschmetternd ist. Die Debatte über den Koran war bis dahin leider völlig tabuisiert. Ich wußte, daß jemand das Eis würde brechen müssen, um eine freie Debatte zu ermöglichen. Sofort „schossen“ sich nicht nur Muslime, sondern auch Hüter der Political Correctness auf mich ein. Die Morddrohungen der Muslime sind vielleicht lebensbedrohlich; aber die Diffamierungen des linken Medienmainstreams sind existenzbedrohend, und das ist schlimmer. Die einen wollen dein Leben bloß auslöschen. Die anderen machen es dir und deiner Familie zur Hölle. Die Unterstellungen und falschen Anschuldigungen von seiten des linken Establishments sind kriminell. Erst der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo, der dann 2015 erfolgte, brachte den linken Medienmainstream – vorübergehend – zum Schweigen.

Wie kam der Beitrag damals zustande?

Thiel: Der Auftrag war 2013 von einer anderen Redaktion gekommen und lautete: „Was steht wirklich im Koran? Wie kommt es, daß die offizielle Sprachregelung lautet, der islamistische Terror habe nichts mit dem Koran zu tun? Während man hinter vorgehaltener Hand überall hört, die Terroristen würden genau das tun, was im Koran steht.“

Aber warum Sie? 

Thiel: Da ich als Satiriker den Islam schon mehrere Male humoristisch verarbeitet hatte, wozu ich ja auch erst einmal den Koran hatte studieren müssen, bat die Redaktion eben mich, einen ernsten Beitrag zu dieser heiklen Frage zu verfassen. Doch der Auftraggeber war vom Resultat so schockiert, daß er meinte, das könne nicht stimmen. Ich empfahl ihm, den Essay von entsprechenden Fachleuten prüfen zu lassen. Erschüttert kam er zurück mit der Mitteilung, daß er von allen Orientalisten die gleiche Antwort erhalten habe: Es stimme alles. Genau das sei das Problem. Deshalb solle man bitte auf keinen Fall den Namen des jeweiligen Experten nennen. Und von Juristen wurde ihm geraten: Wenn ihm sein Leben lieb sei, solle er die Finger von dem Thema lassen.

Welche Redaktion das war, wollen Sie uns nicht verraten? 

Thiel: Nein. Jedenfalls schickte ich den Essay nun der Weltwoche. Es war dort das gleiche Prozedere. Dem anfänglichen Unglauben folgten Abklärungen, diesmal allerdings umfassender durch Juristen, Orientalisten und Vertreter der Justizbehörde. Dies ist vermutlich der am meisten „durchgeprüfte“ Essay, den ich je geschrieben habe.

Warum die „Weltwoche“?

Thiel: Zum einen, weil ich für sie ebenfalls schreibe. Zum anderen weil sie eines der mutigsten und liberalsten Blätter der Schweiz ist. Da der Liberalismus für den linken Medienmainstream allerdings ein Feindbild darstellt, wird die Weltwoche wie alles und jeder Liberale – zum Beispiel auch ich – regelmäßig als „rassistisch“ diffamiert, nach dem Motto: Was nicht links ist, muß aufs übelste beschimpft und bekämpft werden. Und laut dem Kommunistischen Manifest dauert der Kampf ja so lange, bis die ganze Welt kommunistisch ist. Das fundamentale Defizit der Linken, was den Liberalismus anbelangt, ist ebenfalls im Kommunistischen Manifest angelegt, in welchem die Gesellschaft aufgeteilt wird in Unterdrücker und Unterdrückte: Der freie Bürger kommt darin nicht vor. Jedenfalls, die Redaktion der Weltwoche mußte nach der Publikation für eine Weile unter Polizeischutz gestellt werden.

Von all dem waren Sie sicher überrascht?

Thiel: Auf die Morddrohungen war ich dank der informellen Kontakte zur Justizbehörde vorbereitet. Auf die Diffamierungen von linker Seite hingegen nicht. Immerhin ist – traurigerweise muß ich sagen „war“ – der größte Teil meines beruflichen und privaten Umfelds links. Und daß die übelsten Diffamierungen ausgerechnet vom staatlichen Monopolfernsehen verbreitet werden würden, konnte ich auch nicht vorhersehen. Dabei trieft der Koran nur so von Judenhaß, Aufrufen zur Verfolgung, Ausgrenzung und Tötung von Andersgläubigen, von der Diskriminierung der Frau ganz zu schweigen. Daß ausgerechnet die Linke dieses Buch als heilige Kuh verehrt, ist mehr als verrückt.

Dennoch haben Sie 2014 durchgehalten. Sich nun aber zurückgezogen. Wieso?   

Thiel: Es gibt nichts Treueres als Feinde. Je falscher sie liegen, desto mehr Gift und Galle verspritzen sie. Seither weiß ich, weshalb man von „Rufmord“ spricht und nicht von „Rufverletzung“. Wer medial gemeuchelt wird, ist nachher tot. Für einen Humoristen ein anspruchsvolles neues Level.

Wann und warum wurde Ihnen klar, daß das Ganze sich in eine – mit Blick auf die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Satire – fatale Richtung entwickelte? 

Thiel: Mir wurde erst im nachhinein klar, daß die Araber den Streit um die dänischen Mohammedkarikaturen längst gewonnen hatten. Selbst hier bei uns im Westen gilt die Meinungsfreiheit seither nicht mehr.

Aber woran lag es, daß es so weit kam? Gaben den Ausschlag die Linke, die Theater, das Publikum, die Medien? 

Thiel: Alle! Das ist ein soziologisches Gesetz: Sind Menschen bei einer Steinigung zugegen, begeben sie sich automatisch auf die Seite, von der aus die Steine geworfen werden. Die andere Seite ist zu gefährlich. Um jeden, der gesteinigt wird, wird es sehr schnell sehr einsam.

Konkret, sind Sie von moslemischer oder von linker Seite mundtot gemacht worden? 

Thiel: Die Linke hat das gleiche ideologische Problem wie der Islam. Beide teilen die Welt in Gläubige und Ungläubige beziehungsweise Sozialisten und Kapitalisten und somit in Freund und Feind ein. Sowohl die Linke als auch der Islam verbreiten Vorurteile, die mit einer liberalen Gesellschaftsordnung wie der Demokratie schlecht vereinbar sind.

Sie sagten, Sie waren mit Moslems und Linken befreundet. Was genau ist passiert?

Thiel: In jeder Gesellschaft bilden die Mitläufer eine Mehrheit. Sie handeln weder besonders moralisch noch ausgesprochen unmoralisch. Unrechtssysteme wie das Dritte Reich oder der Kommunismus funktionieren nur, weil die meisten Menschen Mitläufer sind. Aber auch Demokratie ist bloß dank der Mitläufer möglich – die meisten Menschen, die in einer Demokratie leben, sind auch hier nur Mitläufer. Die Mitläufer im eigenen Umfeld sind sehr schnell weg, wenn man Opfer eines Rufmordes wird. Und eines kann ich Ihnen verraten: Die Bruchlinie liegt nicht dort, wo man sie vermutet.

Aus deutscher Sicht hält man die Schweiz für selbstbewußt und solide bürgerlich. Man denkt: So eine Entwicklung ist bei uns im psychotischen Deutschland möglich, aber doch nicht dort! 

Thiel: Tja, auch in einer direkten Demokratie wie der Schweiz stellen Mitläufer die Mehrheit.

Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Thiel: Morddrohungen, Polizeischutz, anonymer Wohnortwechsel – und das alles mit einer schwangeren Frau – und dazu die Aufkündigung von Gastspielverträgen bis hin zum Karriereende. Aber wenn ich die Zeitung aufschlage und lese, was in der Welt sonst noch so alles läuft, dann muß ich sagen, geht es mir eigentlich blendend.

Darf Satire das, was Sie getan haben, vielleicht nicht? Sind Sie zu weit gegangen? 

Thiel: Abgesehen davon, daß meine Essays – siehe auch jene in der Neuen Zürcher Zeitung – selten satirisch sind, gilt für die Satire das gleiche wie für alle Menschen: Töten, Stehlen und Verleumden sind verboten – in der Schweiz kommt noch Falschparken hinzu.

Hat die Satire das Problem, daß sie nur links sein darf und nichts anderes – etwa rechts oder nonkonform? 

Thiel: Kunst muß frei sein. Damit ist vor allem auch gemeint: frei im Denken. Daß Kunst links sein sollte, kam den Kommunisten in den Sinn und wird nicht richtiger dadurch, daß sie es heute weitgehend ist. Auch unter den Künstlern sind die meisten Mitläufer.

Steckt die Satire – weil sie fast nur links ist – in einer Krise?

Thiel: Steckt der Radsport in der Krise, weil zu viele Radfahrer gedopt sind? Steckt die Satire in einer Krise, weil zu viele Satiriker subventioniert sind?

Ein aggressiver Scherz linker Ausrichtung gilt als aufklärerisch, kritisch und intelligent, auch wenn er – natürlich auf politisch korrekte Weise – unfair, vulgär oder vorurteilsbehaftet ist. Warum eigentlich?  

Thiel: Das Gegenteil von Humor ist Häme. Man lacht aus Niedertracht. Wer das als Aufklärung empfindet, müßte dringend darüber aufgeklärt werden.

Ein Scherz gleicher Art, aber mit rechter Ausrichtung, gilt als geschmacklos, dumpf und verhetzend. Warum? 

Thiel: Linke pflegen Feindbilder, weil in ihrem Gärtchen nichts anderes wächst.

Ist der rechte Scherz vielleicht gar nicht verhetzend, sondern ebenfalls aufklärerisch? Oder ist der linke Scherz nicht aufklärerisch, sondern auch verhetzend?

Thiel: Das sind schon vier Standpunkte. Dabei ist es schwierig genug, über einen Standpunkt hinauszudenken. Die höchste Mauer bleibt der eigene Tellerrand.

Wo steht die Satire heute?

Thiel: Wenn die Kunst frei sein soll, kann sie nur liberal sein. Als Liberale haben wir es links wie rechts mit Etatisten zu tun. Die Rechte reguliert alles national, während die Linke alles supranational reguliert. Die Kunst, und damit die Satire, müßte selbstredend Deregulierung in jeder Beziehung anstreben.

Ist unsere sozusagen „real existierende“ Satire vielleicht gar nicht die Satire, für die sie sich hält – nämlich eine unabhängige Kunstform; sondern durch ihre linke Selbstbeschränkung nur eine andere Form der Metapolitik?

Thiel: Sie sagen es. Das nennt sich Realsatire. Das heißt, die Realität ist von der Satire eigentlich gar nicht zu toppen.

Wie lautet Ihr Fazit? Sind Sie enttäuscht? Verzweifelt? Oder haben Sie noch Mut? 

Thiel: Ich bin Buddhist. Die Zukunft ängstigt mich genausowenig, wie mich die Vergangenheit betrübt. Solange auf dem Weg vom Kerker zum Schafott die Sonne scheint, ist die Gegenwart schön.






Andreas Thiel, zählt zu den bekanntesten Satirikern der Schweiz. In Zürich hatte der vielfache Preisträger (u.a. Deutscher Kabarettpreis) mit dem „Bösen Montag“ eine eigene Bühnenshow und im Schweizer Fernsehen mit „Comedy im Casino“ eine Sendung. Zudem war er Kolumnist der Berner Zeitung und des Satiremagazins Nebelspalter, heute schreibt er in der Weltwoche. Angesichts fortgesetzter Drohungen, Attacken und Ausladungen gab Thiel im Oktober bekannt, keine neuen Programme mehr zu machen. Weiterhin veröffentlicht er aber Hörbücher und Bücher, zuletzt erschien „Intellekt mich. Der Kaiser ist trotzdem nackt“ (2016). Für 2019 angekündigt: „Politik und Poetik. Tiefseewimperntusche“ Geboren wurde Andreas Thiel 1971 in Bern.

Foto: Tabubrecher Thiel: „Nicht allein Kommunismus und Drittes Reich waren nur wegen der Mitläufer möglich, sondern ebenso ist es die Demokratie. Auch die meisten heute sind Mitläufer“

 

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