© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Aus politischen Fehlern lernen
Dänemark: Um den Wohlfahrtsstaat zu retten, setzen die Sozialdemokraten auf eine rigide Flüchtlings- und Einwanderungspolitik
Christoph Arndt

Seit dem Beginn der Asylkrise haben fast alle sozialdemokratischen Parteien Europas Federn an den Wahlurnen gelassen. In den Fällen   der niederländischen Partei der Arbeit (PvdA) und der französischen Sozialisten  wurden sie sogar auf einstellige Resultate reduziert. Eine der wenigen Ausnahmen ist die dänische Sozialdemokratie, die seit Sommer 2015 laut dem Berlingske Barometer  relativ stabile Umfragewerte zwischen 25 und 28 Prozent behaupten kann. Ein wesentlicher Faktor bildet dabei die in den vergangenen vier Jahren von der Parteivorsitzenden Mette Frederiksen und dem Fraktionsvorsitzenden Henrik Sass Larsen eingeleitete Kehrtwende in der Asyl-, Innen- und Zuwanderungspolitik. Diese markiert den endgültigen Bruch mit der vor mehr als 30 Jahren eingeleiteten liberalen Zuwanderungspolitik.

Stammwähler zurückgewinnen

Spätestens mit der Zustimmung zum Zuwanderungsgesetz von 1983 und dem Aufstieg Svend Aukens zum Vorsitzenden der Partei (1987) hatten die neuen Linken und die Befürworter einer liberalen Asyl- und Zuwanderungspolitik die Partei dominiert und sie in der parlamentarischen Arbeit an die sozialliberale Radikale Venstre – die entschiedensten Verfechter einer multikulturellen Gesellschaft – gekettet. 

Doch der stetig wachsende Anteil  nichtwestlicher Zuwanderer hatte bereits in den 1980er Jahren zu den sogenannten „Bürgermeisteraufständen“ geführt, in denen langjährige sozialdemokratische Bürgermeister aus Kopenhagener Vorstädten (Vestegns) vor den Konsequenzen der Massenzuwanderung und der Bildung von Parallelgesellschaften warnten. Die Vestegnsbürgermeister und Vertreter restriktiver Positionen aus dem Arbeiterflügel der Partei wurden jedoch unter Auken auf die Hinterbänke oder in die Kommunalpolitik verdrängt.

Dies änderte sich auch nicht nach der Regierungsübernahme 1993 unter Aukens Nachfolger Paul Nyrup Rasmussen, der eine starke Zuwanderung, vor allem aus Afrika und dem Mittleren Osten, zu verantworten hatte –  wenngleich Nyrup einige Verschärfungen des Asylrechtes in seiner letzten Legislaturperiode (1998–2001) durchsetzen wollte. Er scheiterte aber regelmäßig am Widerstand des linken Flügels und der Radikalen Venstre. 

Die deutliche Wahlniederlage des linken Lagers 2001 manifestierte die strukturelle Mehrheit des bürgerlichen Lagers aus rechtsliberaler Venstre (V), Konservativen (K), Dänischer Volkspartei (DF) und später der Liberalen Allianz (LA), welches vier der letzten fünf Wahlen nach 1998 gewinnen konnte. Lediglich Helle Thorning-Schmidt konnte 2011 und 2015 eine knappe Mitte-Links Mehrheit sichern. 

Nach der verlorenen Folketingswahl 2015 übernahmen Frederiksen und Sass Larsen die Führung. Sass Larsen gilt als Chefstratege der Partei und hatte schon unter Thorning-Schmidt einen Kurswechsel in innen- und zuwanderungspolitischen Fragen forciert. Der Kurswechsel folgt der Analyse, daß die strukturelle Mehrheit des bürgerlichen Lagers in den Präferenzen der Bevölkerung und der Glaubwürdigkeit von DF und Venstre in der Zuwanderungspolitik gründet. 

Nach 1998 verloren die Sozialdemokraten viele Stammwähler aus der Arbeiterschaft an die Dänische Volkspartei und Venstre und konnten dies nicht durch neue Wählersegmente aus dem linksliberalen Bürgertum kompensieren. Die Rückgewinnung dieser Wähler ist für Frederiksen und Sass Larsen der Schlüssel für kommende sozialdemokratische Regierungsmehrheiten. Mette Frederiksen hatte in einem DR2-Interview diesbezüglich eine Lebenslüge eingeräumt, als sie konstatierte, daß die Bürgermeister aus den Kopenhagener Vororten recht hatten mit ihrer Kritik an der Massenzuwanderung aus nichtwestlichen Ländern und daß die Integrationspolitik der Sozialdemokraten in den letzten 30 Jahren verfehlt war.

Inhaltlich bedeutet der Kurswechsel ein traditionelleres Profil in der Sozialpolitik, das mit einem restriktiveren Kurs in der Innen- und Zuwanderungspolitik einhergeht. Die oppositionellen Sozialdemokraten haben zuletzt fast allen Verschärfungen von DF und Venstre zugestimmt und sind in einigen Fällen sogar über die Forderungen von DF und V hinausgegangen. 

Das linke Lager ist bei der Migrationsfrage gespalten  

So haben die Sozialdemokraten das Ghettopaket – ein Maßnahmenkatalog gegen Parallelgesellschaften – mitgetragen und auch der Minderheitenregierung Løkke Rasmussens (V) entscheidende Mandate für die Einführung des Burkaverbotes geliefert. Beim Staatsbürgerrecht trugen die Sozialdemokraten ebenfalls die Verschärfungen seitens der Regierung und der Dänischen Volkspartei im Juni mit. So werden beispielsweise alle Zuwanderer, die zu Haftstrafen von mehr als einem Jahr (drei Monate bei gefährlicher Körperverletzung) verurteilt wurden, lebenslang von der dänischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.

Auch in der Sozialpolitik kamen die Sozialdemokraten zu der Einsicht, daß nichtwestliche Zuwanderung keine finanziellen Gewinne bringt und man sich folglich entweder für den Sozialstaat oder Massenzuwanderung entscheiden müsse. Sass Larsen konstatierte hierzu in der sozialliberalen Tageszeitung Politiken: „Eine Masseneinwanderung – wie in Schweden gesehen – wird das Fundament unserer Wohlfahrtsgesellschaft ökonomisch und sozial unterminieren.“ Die Sozialdemokraten würden alles tun, was sie könnten, um die Anzahl nichtwestlicher Flüchtlinge und Einwanderer zu begrenzen, die ins Land kämen. „Dafür sind wir weit gegangen – und viel weiter, als wir zu träumen wagten. Das sind wir, weil wir nicht unsere Wohlfahrtsgesellschaft im Namens des Humanismus opfern wollen“, so der 52jährige,

 Entsprechend versprechen die Sozialdemokraten mittlerweile, die Qualifikationszeiten für diverse Sozialleistungen beizubehalten, die Zuwanderern erst nach mehrjährigem Aufenthalt und Einzahlung Zugang zu Leistungen ermöglicht (etwa reguläre Sozialhilfe oder Betreuungsgeld), nachdem sie dies jahrelang vehement ablehnten. 

Strategisch strebt die Partei eine Einparteienminderheitsregierung an, welche die Zuwanderungs- und Innenpolitik mit den bürgerlichen Parteien und die Sozialpolitik mit den linken Parteien führt. Sowohl Frederiksen als auch Sass Larsen haben die Radikale Venstre als Koalitionspartner ausgeschlossen, um deren Vetomacht bei einer linken Mehrheit zu brechen und Forderungen der anderen Linksparteien in der Zuwanderungspolitik eine Absage erteilt. Das linke Lager ist als Folge des Kurswechsels der Sozialdemokraten in der Zuwanderungsfrage gespalten, was im nächsten Wahlkampf ein Mobilisierungsproblem darstellen könnte. 

Andererseits schließen die Sozialdemokraten die DF nicht mehr prinzipiell als Kooperationspartner aus. Doch die Rechtsbürgerlichen streben selbst die Führung einer bürgerlichen Mehrheit an, bieten im Notfall aber auch die Tolerierung der Sozialdemokraten an, um den Einfluß der anderen Linksparteien in der Zuwanderungspolitik zu minimieren.