© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Pankraz,
das Netzwerk und die ratlosen Firmenchefs

Man soll es mit der Großmäuligkeit nicht übertreiben. Der Text, den Roland Albrecht, Chef der merkwürdigen Heidelberger Firma „GoYa! Die Markenagentur“, kürzlich in der Welt untergebracht hat, strotzte nur so von Hoppla-jetzt-komm-ich-Attitüde  – und transporierte doch nur leere Phrasen, die völlig an der Wirklichkeit vorbeiliefen. So ungeschützt sollte man sich nicht blamieren.

Worum ging es? Die gegenwärtige deutsche Wirtschaft, trompetete Albrecht, stecke tief in der Krise, und das liege daran, daß ihre verantwortlichen Unternehmer noch immer vom alten, längst überholten Hierarchie-Denken umfangen seien, statt endlich dem Gedanken des „Netzwerks“ näherzutreten. Hierarchie operiere „vertikal“, Netzwerk dagegen „horizontal“. Und darin liege das Übel der deutschen Wirtschaft: daß sie sich weigere, die neue, horizontal angelegte Digital- und Netzwerkertechnik mit frischer Kraft und allen Konsequenzen anzugehen.

Mehr hatte der Artikel nicht zu bieten. „Die große Chance der stattfindenden Transformation Deutschlands in eine Netzwerkgesellschaft und Netzwerkwirtschaft“, verkündete er, „liegt unter anderem darin, Potentiale und Potenzen neu zu vermessen – und daraus dann konkrete Ableitungen für die Umsetzung zu machen.“ Pankraz meint dagegen: Bevor man damit anfängt, Potentiale und Potenzen zu vermessen, sollte man erst einmal nachsehen, ob überhaupt etwas zum Vermessen da ist, und wenn ja, ob man über die geeigneten Mittel verfügt, um verläßlich messen zu können. 


Das Gegensatzpaar „vertikal oder horizontal“ zum Beispiel eignet sich, wie schnell ersichtlich, nicht im geringsten für eine realistische Einschätzung von Strategien und Entscheidungen in Wirtschaftsunternehmen. Wenn Roland Albrecht schreibt, die Verantwortung für unternehmerisches Handeln und geschäftliche Entscheidungen dürfe nicht mehr in den Vorständen zentralisiert, sondern müsse in die „jeweiligen Fachabteilungen und Expertenteams“ verlagert werden, springt er entschieden zu kurz.

Selbst der machthungrigste private Fabrikbesitzer entscheidet nie allein darüber, was und wie und zu welchen Kosten produziert wird, nimmt den Rat und die Mitarbeit von Fachleuten in Anspruch. Und heute, in Zeiten der Managerherrschaft, ist der Unterschied zwischen vertikal und horizontal fast gänzlich verwischt. Zuständigkeit und Veranwortlichkeit gehen ständig ineinander über. 

Der milliardenschwere VW-Skandal um die bewußt gefälschten Abgaswerte liefert dafür den besten (schlimmsten) Beleg. Alle Manager des Konzerns und auch viele kleinere Angehörige des Unternehmens  wußten davon, es gab darüber ein augenzwinkerndes Getuschel und Gemuschel über Jahre hinweg, solange alles gutging und der Gewinn stimmte. Es herrschte – um es so zu sagen – ein überaus horizontales Klima. Erst als der Fall ruchbar und justitiabel wurde, begann plötzlich die Suche nach dem angeblich „allein Verantwortlichen“, der Fall rückte aus der Horizontale in die Vertikale.

Einige Wirtschaftskolumnisten (GoYa!-Chef Albrecht gehört dazu) setzen die von ihnen gepriesene verantwortungsfrei-horizontale „Netzwerkwirtschaft“ ungeniert mit der computergesteuerten Digitalisierungswirtschaft gleich. Deren Mechanismus besteht bekanntlich darin, daß Big-Data-Maschinen feststellen, was die Mehrheit einer jeweiligen Kundschaft beim Kaufen bevorzugt: diese Mehrheitsdaten werden zu Algorithmen gemacht und von immer mehr Unternehmen als Richtlinien für die Gestaltung ihrer Produktions- und Verkaufsstrategie genutzt.

In der Tat entsteht so peu à peu eine Art horizontale Netzwerkwirtschaft, in der man keine hierarchischen Entscheidungsvertikalen mehr nötig zu haben glaubt. Nicht nur die Produktion ist weitgehend digitalisiert, sprich: automatisiert,  sondern auch der Wille, der sie in Gang serzt und in Gang hält. Die im Computer untergebrachte Künstliche Intelligenz (KI)  annonciert und dirigiert per Algorithmus die Kaufinteressen der Mehrheitskundschaft, nach der sich dann jeder richten muß. Und die menschlichen Führungskräfte in den Chefetagen können sich nun in aller Gemütlichkeit horizontalen Spielchen hingeben.

 

Bei Roland Albrecht klingt das dann so: „Die bisherige Denkweise in den Unternehmen hat ausgedient. Die vorherrschende tiefgehende Hierarchiesehnsucht und Hierarchiegläubigkeit steht den organisatorischen Anforderungen des digitalen Projekts des 21. Jahrhunderts diametral entgegen. Sie werden mit der Zeit zu einer Wachstums- und Wohlstandsbremse. Wir brauchen für die digitale Zukunft ein stärker horizontal ausgerichtetes Entscheidungs- und Verantwortungsmodell. Wir brauchen ein neues Mindset.“

Neues Mindset? In manchen Betrieben, so hört man, sollen vorwitzigerweise kleine Ventilatoren angeschafft worden sein, die man an seinem Arbeitsplatz einschaltet, um auch im größtem Trubel oder bei schlechtester Luft freien Atem und klaren Kopf zu behalten. Hat der GoYa!-Geschäftsführer etwa das gemeint?

Fest steht jedenfalls, daß die führenden Unternehmergestalten sowohl in großen Konzernen als auch im gehobenen Mittelstand Mindsets durchaus notwendig haben. Sie sind in ihrem Berufsverständnis sehr verunsichert. Sie wollen nicht ohne jegliche eigene Schuld öffentlich-medial herabgestuft werden. Ihnen ist – wie jedem anderen nachdenklichen Zeitgenossen auch – klar, daß wir alle „im Netz“ leben, in einem lebensnotwendigen Verbund von Individualitäten, auf die es Rücksicht zu nehmen gilt.  Zum bloßen „Netzwerker“ wird man deshalb aber noch lange nicht.

„Man kann schwer ohne ein Netz sicher leben“, notierte einst Jean Paul in seiner  Erziehungsfibel „Lewana“, „aber sich mit seiner Hilfe wie ein Hering einfangen zu lassen, das wäre fatal.“ Modern und wider den herrschenden Zeitgeist formuliert: Wir brauchen weder eine Netzwerkergesellschaft noch eine Netzwerkerwirtschaft.