© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Auf den Spuren der Ottonen
Die „Straße der Romanik“ in Sachsen-Anhalt und Thüringen feiert ihr 25jähriges Bestehen
Karlheinz Weißmann

Früher lernte man in der Schule, daß der erste deutsche König Heinrich „der Vogler“ oder Heinrich „der Finkler“ hieß. Ein Beiname, der zwar auf mittelalterliche Quellen zurückgeht, aber erst mit dem Erwachen des Nationalbewußtseins im 19. Jahrhundert populär wurde. Dahinter stand die sagenhafte Überlieferung, daß Heinrich von Boten seines Vorgängers Konrad bei der Vogeljagd angetroffen und ihm am „Vogelherd“ die Krone des Reiches angeboten wurde. Den „Vogelherd“ zeigt man unterhalb der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg, deren Ursprung bis auf die Zeit Heinrichs zurückgeht. Sie überragt bis heute weithin sichtbar die Stadt, und in der Krpyta liegt der König mit seiner Gattin Mathilde bestattet. Ursprünglich handelte es sich um den Mittelpunkt einer Klosteranlage, die von Mathilde gegründet worden war, die so für die „Memoria“, also das dauernde Andenken des Königs und der Dynastie, sorgen wollte.

Magdeburg bildet den Kreuzungspunkt 

St. Servatius ist ein beeindruckend geschlossener hochromanischer Bau, der im wesentlichen aus dem 11. Jahrhundert stammt. Wie die ganze Altstadt Quedlinburgs gehört er zum Unesco-Welterbe und zu den Glanzpunkten der „Straße der Romanik“, die jetzt ihr fünfundzwanzigjähriges Bestehen feiert. In der ersten Zeit nach der Wende wurde diese „Marke“ für den Fremdenverkehr ins Leben gerufen und mit der Italien, Österreich und Slowenien durchlaufenden Transromanica verknüpft.

Die „Straße der Romanik“ berührt in Sachsen-Anhalt und Thüringen fünfundsiebzig Kirchen, Klöster und Burganlagen in fünfundsechzig Orten. Sie beschreibt eine acht, deren Kreuzungspunkt Magdeburg bildet, das in der Zeit der sächsischen Herrscher ein bedeutendes politisches und religiöses Zentrum des Reiches war. Selbstverständlich gehören hier das Kloster Unserer Lieben Frau, die St. Petri- und die St. Sebastian-Kirche zu den wichtigen Überresten der romanischen Zeit, die trotz der schweren Kriegszerstörungen, die Magdeburg erlitten hat, immer noch einen Eindruck von der früheren Bedeutung vermitteln. Die verdankte Magdeburg vor allem Otto dem Großen, dem Sohn Heinrichs, der hier ein Erzbistum errichtete und im Dom beigesetzt wurde.

Bildwerke zeigen Christus, Maria und die Apostel

Damit verbunden war ein Bedeutungsverlust des benachbarten Halberstadt, einer weiteren Station der „Straße der Romanik“, wenngleich dessen Dom St. Stephanus und St. Sixti der Gotik zuzurechnen ist. Der Domschatz mit den Reliquiaren und den einmaligen Wandteppichen reicht aber bis in das 11. und 12. Jahrhundert zurück, und es bedarf nach dem Besuch von Dom und Schatzkammer nur weniger Schritte über den Domplatz hinweg, um die Liebfrauenkirche zu erreichen, die berühmt ist für ihre spätromanischen Chorschranken. Die Bildwerke zeigen auf der einen Seite Christus, umgeben von sechs Aposteln, auf der anderen Maria mit dem Kind, umgeben von sechs weiteren.

Die ungewöhnlich lebendige Darstellung unterscheidet sich deutlich von den streng stilisierten Figuren, die man zum Beispiel im Chor der Klosterkirche St. Vitus von Kloster Gröningen sehen kann, das wenige Kilometer von Halberstadt entfernt liegt. Der leider in einem schlechten Zustand befindliche Bau weist neben einer Kopie der Skulpturen, die Christus als Weltenrichter, umgeben von den Jüngern darstellen (das Original befindet sich im Berliner Bode-Museum) Kapitelle mit fast abstrakt wirkenden Motiven auf, die man zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder farbig gefaßt hat. Dadurch kann der Besucher eine Vorstellung von der ursprünglichen Wirkung gewinnen.

Diesem Konzept der Rekonstruktion folgte man auch an anderen Stellen, etwa im Fall der Klosterkirche von Gernrode, die wegen ihrer Einheitlichkeit und gelungenen Proportionierung sicher zu den schönsten Stationen der „Straße der Romanik“ gezählt werden darf, oder im Fall der Kirche St. Georg und Pancratius in Hecklingen mit den großen Stuck-engeln, die den optischen Eindruck des ganzen Kirchenschiffs bestimmen.

Es sind die zuletzt genannten kleineren Orte an der „Straße der Romanik“, die (zur Sicherheit nach Voranmeldung) einen Besuch lohnen. Womit natürlich nichts gegen die herausragende Bedeutung der berühmten romanischen Anlagen in Naumburg oder Merseburg gesagt ist, die zu besuchen für den Interessierten aber näher liegt. Die besonderen Veranstaltungen zum Jubiläum der „Straße der Romanik“ in diesem Jahr können vielleicht aber auch genutzt werden, um die etwas am Wegesrand liegenden Orte zu erkunden.

Im Herbst soll dann das Dommuseum „Ottonianum“ in Magdeburg eröffnet werden, das sich mit seiner Ausstellung auf die Zeit der sächsischen Herrscher konzentriert. Im Mittelpunkt sollen Kaiser Otto der Große (912–973) und die Königin Editha (910–946) stehen.

Noch bis zum 15. Oktober ist täglich von 10 bis 18 Uhr im Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben die Schau „Wissen und Macht. Der heilige Benedikt und die Ottonen“ zu sehen. Sie infomiert über die Ankunft des Benediktinerordens im thüringischen Unstruttal und berichtet von den weitreichenden Impulsen für die Kulturlandschaft. Eine weitere Sonderausstellung widmet sich bis zum 4. November im Merseburger Dom dem Bischof und Geschichtsschreiber im Reich der Ottonen Thietmar von Merseburg. Anhand seiner berühmten Chronik mit den Beurteilungen der ottonischen Herrscher vermittelt die Schau einen Eindruck von der Welt des 10. Jahrhunderts.

Weitere Informationen im Netz unter:

 www.strassederromanik.de

 http://dommuseum-ottonianum.de

 www.kloster-memleben.de

 www.merseburger-dom.de/ausstellungen

Marion Schmidt: Auf der Straße der Romanik. Offizieller Kunstreiseführer. Schmidt-Buch-Verlag, Wernigerode 2015, broschiert, 272 Seiten, 156 Farbfotos, Grafiken, 17 Straßenkarten 11,95 Euro