© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Ohne Idee für das Eigene
Wenn zwei Linksliberale Italien erklären wollen
Wulf Wagner

Das Buch ist lange überholt. Schon bei seinem Erscheinen im November 2017 waren die Ausführungen zu Präsident Matteo Renzi nur noch von historischem Wert. Nun haben die ersten Maßnahmen der neuen Regierung aus Movimento 5 Stelle und Lega manche Deutungen widerlegt, wie etwa, daß M5S „nicht regieren will“. 

Dennoch hat das Buch aufgrund seiner Autoren seinen Wert. Dem einen, Roberto Saviano, bleibt seine Bedeutung im Kampf gegen die Mafia, erinnert sei an den Bestseller „Gomorrha“. Der andere, Giovanni di Lorenzo, ist Chefredakteur der Zeit, mit Italien durch den Vater verbunden. Di Lorenzo gelingt es jedoch im Gespräch kaum, Saviano von seinen Mafia-Geschichten oder Neapel wegzuführen. Andere Städte, Landschaften spielen fast keine Rolle. Ab und an ein bißchen Politik, Berlusconi natürlich, Kommunismus und Faschismus. Und schon ist man wieder bei der Mafia oder bei Savianos anderem Lieblingsthema, der Migration. 

Hier veranschaulicht der Band wie Linksintellektuelle – Saviano nennt sich auch „libertär“ – denken. Saviano formuliert seine Visionen: „Ich möchte darauf bestehen, daß der Süden [Italiens] nur gerettet werden kann, wenn man ihn den Flüchtlingen überläßt“, also Afrikanern, während die eigene Jugend in Nordeuropa Arbeit sucht. Er meint das tatsächlich ernst, wiederholt dies, träumt zudem von den Vereinigten Staaten von Europa samt Türkei und Israel. Di Lorenzo versucht zumindest, diese Lebensraumvisionen realistischer zu erden, was ihm letztlich nicht gelingt. Fast wirkt er verzweifelt, die Diskussion gleitet ab, gegen Ende dreht sie sich zudem fast nur noch um Saviano selbst.  

Das Buch wird zum Zeugnis zweier Linksliberaler, die uns Italien erklären wollen, aber kein weiteres, gar schönes Bild dieses großen Landes, seiner Kunst, Literatur, Musik und Geschichte zu geben vermögen. Sie haben nichts zu sagen etwa zu den Traditionen und Eigenarten italienischer Lebensweisen oder zu den Unterschieden der Regionen, kurz: Sie sind ohne Idee für das Eigene und die eigene Bevölkerung, da täuscht auch eine letzte pathetische Seite nicht drüber hinweg. Italien aber ist mehr als die Mafia. 

Roberto Saviano, Giovanni di Lorenzo: Erklär mir Italien! Wie kann man ein Land lieben, das einen zur Verzweiflung treibt? Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, gebunden, 265 Seiten, 20 Euro