© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Der Meister soll zurückkehren
Handwerk: Branchenvertreter fordern, den traditionellen Kompetenznachweis wieder einzuführen
Paul Leonhard

Im deutschen Handwerk herrscht Unruhe: Union und SPD wollen, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, prüfen, wie der Meisterbrief in einzelnen Berufsbildern EU-konform eingeführt werden kann. Gleichzeitig drängt der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) seit Monaten auf eine Wiedereinführung der Meisterpflicht für bestimmte Berufe. Insbesondere für das Baugewerbe wird eine Rückkehr zum Großen Befähigungsnachweis gefordert. Argumentiert wird mit Fachkräftemangel, der niedrigen Zahl der Lehrlinge in den Gewerken ohne Meisterpflicht und mangelnder Qualität in der Auftragsdurchführung durch die sich auf dem deutschen Markt tummelnden osteuropäischen Ein-Mann-Betriebe. Allein bei den Fliesenlegern sind inzwischen 20.000 Handwerker aus dem Ausland registriert.

„Ihr habt ein Stück  Handwerk kaputtgemacht“

Seit dem Mittelalter war – von kurzen Unterbrechungen abgesehen – im deutschsprachigen Raum eine bestandene Meisterprüfung die Voraussetzung, um sich selbständig zu machen und Lehrlinge auszubilden. Eine Tradition, mit der die rot-grüne Bundesregierung 2004 auf Druck aus Brüssel brach. Die EU-Kommission hatte den Abbau von Wettbewerbshemmnissen in Deutschland angemahnt und als eine von mehreren „ungerechtfertigten Beschränkungen und Marktzutrittsschranken“ den Meisterzwang im Handwerk benannt.

Lediglich CDU und CSU war es zu verdanken, daß der Meisterzwang nicht für das gesamte Handwerk abgeschafft wurde. Sie erreichten in den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß, daß in 41 von mehr als 90 Gewerken der Meisterbrief die Voraussetzung für die Selbständigkeit blieb. Allerdings verwiesen SPD und Bündnisgrüne auf das aus ihrer Sicht gelungene Beispiel Österreich, wo der Meisterzwang zum 1. Januar 2000 aufgehoben worden war.

Der dortige Verfassungsgerichtshof hatte keine „sachliche Rechtfertigung“ dafür gefunden, warum „österreichische Staatsbürger mit einer einschlägigen fachlichen Tätigkeit im Ausland“ vom Meisterzwang befreit wurden, während die Befreiung denjenigen verweigert wurde, die diese Berufserfahrung in Österreich gesammelt hatten.

Die von den Richtern erkannte „Inländerdiskriminierung“ wurde für verfassungswidrig erklärt und der Gesetzgeber beauftragt, Anpassungen vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte zurückhaltender. Es äußerte im Dezember 2005 zwar „Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der alten Handwerksordnung zum Meisterzwang“, traf aber keine Entscheidung und billigte dem Gesetzgeber einen großen Beurteilungsspielraum bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für das Handwerk zu.

Seitdem tobt der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern des Meisterzwangs. Während die Interessenvertreter des Handwerks beispielsweise in Sachsen-Anhalt gerade unter Verweis auf den Fachkräftemangel eine Rückkehr zur Meisterpflicht fordern, verteidigen aus Sicht der FAZ die Handwerker seit Jahrzehnten bloß „ihren derzeit wieder besonders goldenen Boden mit aller Macht gegen günstigere Wettbewerber“. Es sei zu befürchten, daß die Große Koalition den Handwerkern „bei der Rückeroberung verlorener Privilegien hilft“.

Auch die Welt hat Partei gegen die Meistertradition ergriffen. „In der Regierungskoalition mehren sich die Stimmen zur Wiedereinführung des Meisterzwangs in mehreren Dutzend Handwerksberufen“, bedauert das Blatt und zitiert den Ökonomen Jan Schnellenbach von der Technischen Universität Brandenburg: „Der Meisterzwang dient letztlich der Abschottung der betroffenen Märkte zu Lasten des Verbrauchers.“ Dieser würde unter eingeschränktem Wettbewerb und den resultierenden höheren Preisen leiden.

Für Carsten Linnemann, Stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, war die „Abschaffung der Meisterpflicht“ ein Fehler. Auch aus Sicht von Sören Bartol, Fraktionsvize der SPD, hat sich die Qualität der Arbeit in vielen zulassungsfreien Gewerken verschlechtert. Auf eine aktuelle Studie der Universität Göttingen verweist Burghard Grupe, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg. Demnach sank die Zahl der Lehrlinge in den Gewerken ohne Meisterpflicht bundesweit und lag weit unter dem Niveau in den Meisterberufen.

Druck kommt auch von unten. Vor allem die Fliesenleger plädieren für Änderungen. Bei ihnen war die Anzahl der Meisterprüfungen von 618 im Jahr 1998 auf 114 im Jahr 2015 gesunken, die Zahl der Betriebe dagegen von 12.401 im Jahr 2004 auf 71.142 gestiegen. Einer von ihnen, Fliesenlegermeister Stefan Bohlken aus dem niedersächsischen Oldenburg, startete Mitte März die Online-Petition „50.000 Stimmen für die Wiedereinführung der Meisterpflicht“. Zuvor hatte er bereits in einem knapp vierminütigen Video auf Facebook auf die qualifizierte Arbeit hingewiesen, die Fachbetriebe leisten, und an die Bundesregierung appelliert: „Ihr habt ein Stück Handwerk kaputtgemacht, macht es wieder heil“ und damit rund 400.000 Menschen erreicht. Jetzt will er mit der Unterschriftenaktion die Regierung zum Handeln zwingen. Bis zum 12. September hofft Bohlken alle Unterschriften zusammenzuhaben.

Vorsichtig gibt sich ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer gegenüber dem Deutschen Handwerksblatt: „Wir wollen keine Reform der Reform, an deren Ende es dann möglicherweise in weniger Berufen als zuvor eine Meisterpflicht gibt.“