© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Vorwärts marsch – ins Sommerloch!
Bundeswehr: Politik debattiert über Wiedereinsetzung der Wehrpflicht / CDU-Generalin zielt auf Konservative
Peter Möller

Wenn für eine politische Debatte die Zeit gekommen ist, gibt es kein Halten mehr. Das hat sich in den vergangenen Tagen an der von der CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer mitten im Sommerloch losgetretenen Diskussion über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht gezeigt. Die am Wochenende ausgebrochene Debatte gewann derart schnell an Fahrt, daß sich am Montag die Bundesregierung genötigt sah, zu versuchen, die Diskussion wieder einzufangen. „Die Wiedereinsetzung oder der Widerruf der Aussetzung der Wehrpflicht steht ja jetzt gar nicht zur Debatte“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in der Bundespressekonferenz. Es handele sich um eine parteipolitische Debatte, die ganz am Anfang stehe.

„Wer gegen die Wehrpflicht ist, schadet Deutschland“ 

Auslöser für den Streit um die Wehrpflicht, der sich schnell zu einer Grundsatzdebatte über eine allgemeine Dienstpflicht ausgeweitet hat, sind die Vorbereitungen für ein neues Grundsatzprogramm der CDU. Bei einer sogenannten „Zuhörtour“ an der Parteibasis ist Kramp-Karrenbauer offenbar so häufig auf das Thema Wehrpflicht angesprochen worden, daß sich die Parteiführung zum Handeln genötigt sah. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 durch den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hadern viele in der Union mit der Entscheidung, daß dieser „Markenkern“ aufgegeben wurde. Der Vorstoß der Generalsekretärin wird in Berlin daher als Versuch gewertet, konservative Anhänger wieder enger an die Union zu binden.

Dennoch fiel die Reaktion des verteidigungspolitischen Sprechers der Unions-Fraktion, Henning Otte, eher kühl aus: „Eine allgemeine Wehrpflicht alten Zuschnitts hilft uns bei den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht weiter“, sagte er mit Blick auf den Vorstoß Kramp-Karrenbauers. Der Präsident des Reservistenverbandes, der CDU-Bundestagsabgeordnete Oswin Veith, brachte unterdessen statt der reinen Wehrpflicht nur für Männer ein allgemeines Pflichtjahr ins Gespräch. „Wir glauben, daß ein solcher ‘Dienst für Deutschland’ ein adäquates Mittel ist, um dem demographischen Wandel zu begegnen und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft wieder zu stärken. Mit Blick auf die fortschreitende Überalterung der Gesellschaft und den existentiellen Mangel an Nachwuchskräften in Blaulichtorganisationen, Hilfsdiensten, Pflege und Gesundheitsvorsorge müssen wir jetzt über diese Möglichkeit eines verpflichtenden Dienstes diskutieren.“ 

Widerspruch bekam Veith für seinen Vorstoß unter anderem vom nordrhein-westfälischen Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). „Ich möchte später nicht von jemandem gepflegt werden, den der Staat dazu gezwungen hat“, sagte er der Rheinischen Post und verwies zudem auf juristische Probleme. Ähnlich argumentierte der Koalitionspartner SPD; „Zwangsdienste sind nach europäischem Recht menschenrechtswidrig“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Fritz Felgentreu, der Welt. Ob es überhaupt möglich wäre, einen solchen Vorschlag rechtssicher umzusetzen, sei „völlig offen“. Ein kategorisches Nein kam von FDP-Chef Christian Lindner, der sich auf Twitter gar zu der Behauptung verstieg, eine verpflichtende Dienstzeit sei „Freiheitsentzug, Volkserziehung und Verschwendung von Lebenszeit“.

Die AfD, die die Forderung nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht in ihrem Parteiprogramm verankert hat, reagierte dagegen positiv auf den Vorstoß zur Wehrpflicht: „Ohne eine Wehrpflichtarmee kann die nationale Sicherheitsvorsorge nicht garantiert werden“, sagte der Obmann der AfD im Verteidigungsausschuß, Rüdiger Lucassen, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Grundsätzlicher äußerte sich der AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland: „Wer gegen die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht ist, schadet Deutschland.“ 

Mit dem ehemaligen deutschen Nato-General Egon Ramms schaltete sich auch ein hochrangiger Bundeswehroffizier – wenn auch außer Dienst – in die Debatte ein. Er machte deutlich, daß es mit einer Grundsatzentscheidung für die Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht getan wäre. Entscheidend sei vielmehr die Ausgestaltung der Dienstzeit. „Alles, was unter einem Jahr bleibt, macht aus meiner Sicht keinen Sinn“, sagte Ramms der FAZ. „Zuletzt betrug die Wehrdienstdauer noch sechs Monate. Das war nicht mehr als ein Schnupperkurs.“ Doch selbst davon habe die Bundeswehr noch profitiert. „Zwischen 38 und 40 Prozent der Zeit- und Berufssoldaten haben sich damals noch aus den Reihen der Wehrpflichtigen rekrutiert“, machte der frühere Oberbefehlshaber des Allied Joint Force Command den Vorteil der Wehrpflicht für die Truppe deutlich.

Unterdessen wurde in Berlin darauf hingewiesen, daß eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht die Bundeswehr vor erhebliche logistische Schwierigkeiten stellen würde. Denn seitdem die letzten Wehrpflichtigen die Kasernen verlassen haben, wurden viele Standorte geschlossen. Im Vergleich zu den rund 9.000 freiwilligen Wehrpflichtigen, die derzeit jährlich ihren Dienst antreten, müßte die Bundeswehr ihre Kapazitäten versiebenfachen, rechnete die FAZ vor. Doch zuvor müßte erst einmal wieder eine leistungsfähige Wehrverwaltung aufgebaut werden. Denn die für die Musterung und Einziehung der Wehrpflichtigen zuständigen Kreiswehrersatzämter wurden mit deutscher Gründlichkeit abgewickelt.

Doch mit einer schnellen Entscheidung für oder gegen die Wehrpflicht ist eh nicht zu rechnen. Auf dem CDU-Parteitag Ende des Jahres soll das Thema als eine „Leitfrage“ beschlossen werden. Das neue Grundsatzprogramm steht sogar erst 2020 auf der Tagesordnung.