© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Lieber links liegenbleiben?
„Aufstehen“: Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht präsentiert ihre lang angekündigte Sammlungsbewegung – zunächst nur im Internet
Christian Schreiber

So richtig hat Sahra Wagenknecht noch gar nicht begonnen und doch schlägt ihr bereits von vielen Seiten Ablehnung entgegen. Am vergangenen Wochenende ging die Internetseite des Projekts „Aufstehen“ ans Netz und kündigte den Start einer linken Sammlungsbewegung (JF 24/18) für Anfang September an. Die genauen politischen Inhalte bleiben bislang vage, die Seite läßt in mehreren Videos Menschen verschiedener Altersgruppe zu Wort kommen, die ihre Probleme schildern und über ihre Hoffnungen sprechen. Als Hauptforderungen stehen folgende Sätze auf der Seite: „Den Bürgern muß zugehört werden“ und „Flaschen sammeln darf keine Lösung sein“.

Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag will mit der Bewegung für linke politische Mehrheiten sorgen und dabei neben Anhängern ihrer eigenen Partei auch Mitglieder von SPD und Grünen sowie Parteilose ansprechen. Prominentester Mitstreiter ist bislang ihr Ehemann und frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der die Linken-Fraktion im Saarland führt. Wagenknecht erklärte am vergangenen Wochenende, daß es ihr nicht um die Gründung einer neuen Partei, aber durchaus um „andere parlamentarische Mehrheiten“ gehe. Ein rot-rot-grünes Bündnis sei allerdings nicht das primäre Ziel der neuen Organisation: „Solange die SPD an der Agenda 2010 festhält und auch die Grünen nichts wesentlich anders machen wollen als Frau Merkel, ist Rot-Rot-Grün für die Wähler kein attraktives Projekt.“ Das finale Ziel seien andere politische Mehrheiten und eine neue Regierung mit sozialer Agenda, sagte Wagenknecht dem Nachrichtenmagazin Spiegel. „Wenn der Druck groß genug ist, werden die Parteien, auch im Eigeninteresse, ihre Listen für unsere Ideen und Mitstreiter öffnen.“

Bislang hält sich die Zustimmung aus den angesprochenen Parteien allerdings in Grenzen. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) verspottete „Aufstehen“ gleich als „alten Wein in neuen Schläuchen“ und bezeichnete das Vorhaben, den Sozialdemokraten einige Punkte abzujagen als ziemlich durchsichtig. Der stellvertretende SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur DPA, in einem Europa, das konsequent nach rechts drifte, brauche es dringend progressive Alternativen: „Aber das geht doch nicht über eine PR-Initiative mit notorischen Separatisten an der Spitze, die übrigens bei europäischen oder integrationspolitischen Themen keineswegs progressive oder gar linke Positionen vertreten.“ Einem Spiegel-Bericht zufolge gebe es aber bereits erste Unterstützer aus dem Kulturbetrieb wie den Theatermacher Bernd Stegemann oder den Soziologen Wolfgang Streeck.  

Auch einige aktive Politiker meldeten sich wohlwollend zu Wort: „Die Idee ist gut. Der Zeitpunkt ist richtig gewählt. Das Bedürfnis nach tiefgreifender Veränderung ist riesig“, erklärten der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen und die Grünen-Politikerin Antje Vollmer in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin. Wagenknechts Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, war nur wenige Stunden nach der öffentlichen Präsentation der Internetseite offenkundig darum bemüht, die Emotionen aus der Diskussion zu nehmen, die die Linkspartei in den kommenden Wochen erwarten dürfte. „Es gibt einen Kulturkampf von rechts. Wir sollten jede Idee ernst nehmen, die sich dem entgegenstellt.“ Langfristig gebe es möglicherweise so eine Chance, „die politische Linke insgesamt zu stärken und wieder zu anderen parlamentarischen Mehrheiten zu finden.“ Am 4. September soll das Projekt offiziell starten. Dann will der Gründerkreis um Wagenknecht und Lafontaine in Berlin weitere prominente Unterstützer präsentieren. 

In Lafontaines saarländischer Heimat dagegen ging zunächst einmal jemand von der Fahne: Die bisherige stellvertretende Vorsitzende Dagmar Ensch-Engel verließ vergangene Woche die Landtagsfraktion. Die 63jährige gehört zur Gruppe der Gegner des Wagenknecht-Gatten, die mittlerweile den Linken-Landesvorstand dominieren.