© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Pankraz,
Frau Diallo und das Maß der Dankbarkeit

In der Süddeutschen Zeitung hat jetzt die französisch-senegalesische Superfeministin Rokhaya Diallo (40) ein Riesentremolo über die „Undankbarkeit“ der eingeborenen Franzosen angestimmt. Statt dankbar dafür zu sein, daß Zuwanderinnen mit migrantischem Hintergrund die Zustände im Lande scharf kritisierten, verlangten sie von ihnen, daß sie zunächst einmal ihrerseits Dankbarkeit dafür zeigten, daß man ihnen Aufenthalt und sogar Asyl gewähre. Das sei purer Rassismus, meint Diallo. Schließlich sei es ein Zeichen dafür, „daß man sich mit seinem Land identifiziert, wenn man es kritisiert“. Dafür gebühre ihnen Dank.

Wer soll nun also dankbar sein und wofür? Da scheint offenbar Klärung nötig, um den öffentlichen Frieden nicht zu gefährden. Schon der große Cicero im alten Rom predigte ja unermüdlich: „Keine Schuld ist dringender als die, Dank zu sagen.“ Was wahre Dankbarkeit sei, wußte freilich auch er nicht anzugeben – und dabei ist es bis heute geblieben. Niemand bringt eine befriedigende Definition des Begriffs zustande. „Dankbarkeit“, lesen wir in einem modernen Lexikon, „ist die wohlwollende Erwiderung empfangener Hilfe, auch selbstverständlicher Leistungen. Sie gilt als eine allgemeine ethische Forderung an den Menschen.“

Einerseits bloßes Gefühl, andererseits „dringende Schuld“: Dergleichen ist an sich nur in intimen Verhältnissen erträglich unter einen Hut zu bringen, in der Liebe zwischen zwei Menschen zum Beispiel, im Umgang eng miteinander Verwandter oder seit langem aufs engste miteinander Verbundener, bei der Kindererziehung. In der sogenannten Öffentlichkeit, vor allem natürlich in der Politik, wird denn auch immer nur von der Schuld gesprochen. Von der „Dankesschuld“, die wir angeblich gegenüber irgendwelchen Gebern hätten, auch wenn diese beim „Geben“ exklusiv an sich selbst denken.


Die derzeitigen Reden über das Phänomen der Massenzuwanderung nach Europa passen genau in dieses Schema. In den Zielländern, speziell in den beiden christlichen Kirchen, wird faktisch nur noch von „Pflicht“ gesprochen, von „Gottesgebot“. Es sei unsere Pflicht, so werden die Gläubigen ermahnt, jeden Einlaß Begehrenden ohne Wenn und Aber aufzunehmen und nicht die geringste Geste der Dankbarkeit von ihnen zu erwarten. Dankbar müßten im Gegenteil wir selber sein, denn es werde uns durch den Eintritt der Fremden die notwendige Erinnerung an die Gleichheit aller Menschen endlich wieder nahegebracht.

Geradezu verteufelt wird dagegen das spontane Gefühl der seit Generationen Eingeborenen, ihre Sorge um das Beständige und seine gediegene Weiterentwicklung. Dabei könnte man nicht zuletzt im Alten Testament der Bibel nachlesen, wie ausführlich und bedachtsam gottgläubige Gemeinschaften mit dem Problem des Fremden und Ankommenden umgingen, wie sorgfältig (und ohne Haß und vorgegebene Feindseligkeit) zwischen Eingeborenen, momentanen Gästen und Daueraufenthalt Begehrenden unterschieden wurde und welche Auflagen letztere zu erfüllen hatten.

Respekt vor dem, in das man einzutreten begehrte, und Wille zu vertretbaren Anpassungen waren unabdingbare Voraussetzung. Und natürlich erwartete man von den Ankommenden, daß sie zunächst einmal lernten und sich mit Pauschalurteilen zurückhielten. Die von Frau Diallo angeführte „scharfe Kritik“ als sicheres Kennzeichen von Identifizierungswünschen galt nicht und kann auch heute, gerade heute, nicht gelten. Viele der Ankommenden, besonders solche muslimischen Glaubens, denken gar nicht daran, sich mit etwas Neuem zu identifizieren; sie wollen vielmehr das Ihrige behalten und das Ankunftsland  peu à peu in ein Kalifat verwandeln.

Es sind ja keineswegs in erster Linie nur Armutsflüchtlinge, die ankommen, es sind Leute, die beträchtliche Summen an Schlepperbanden gezahlt haben, um nach Europa zu gelangen, und die nach geglückter „Flucht“ via „Familiennachzug“ und allen möglichen anderen Clan-Konnektionen dafür sorgen, daß nicht zuletzt ihre private Macht und ihre Bewegungskraft in wirtschaftlichen und medialen Dingen beispielsweise für die Entstehung ganzer Statdviertel sorgt, in denen die autonome Staatsgewalt nichts mehr zu sagen hat und nur noch das unkontrollierbare Recht des Stärkeren gilt.


Um aber auf die von Frau Diallo so sehr bemühte Dankbarkeit im Migrationsgeschäft zurückzukommen: Für den oben erwähten Cicero war Dankbarkeit nicht nur die größte aller Tugenden, sondern sogar die Mutter aller anderen. Es mag nun sein, daß mancher gutverdienende „Neubürger“ eines „von der Polizei befreiten“ Stadtviertels dem dahinterstehenden Mafiaboß dankbar ist und deshalb letztlich für den Erhalt und die leichte Ausbeutbarkeit eines solchen Viertels (mit)-verantwortlich ist. Aber mit Tugend oder Ethik hat so etwas gewiß nichts zu tun.

Ist die Dankbarkeit etwa ein bloßes Schmiermittel fürs Vorankommen gesellschaftlicher Verabredungen und Arrangements? Ist es also eine bloße Illusion, wenn man beim Hören dieses schönen Wortes zuerst einmal an innige Liebesverhältnisse denkt, an spontane, völlig unschuldige Freude am Zusammensein, am Verwöhntwerden und gegenseitigen Sichbeschenken? Dem steht an sich der Ernst entgegen, mit dem – soweit Pankraz zu wissen glaubt – alle Religionen die „wahre Dankbarkeit“  loben. Sie gefalle den Göttern wohl und bestätige sie in ihrem Schöpfungswillen.

Pankraz hatte einst einen väterlichen Freund, den Schriftsteller und Individualpsychologen Magnus (Manès) Sperber (1905–1984), welcher mit Anbruch des Dritten Reiches nach Frankreich emigrieren mußte. Die Kälte der Aufnahme dort, erzählte er später, die Fülle der bürokratischen Prozeduren und der Auflagen, die er hinnehmen mußte, hätten ihn fast kaputtgemacht. Trotzdem, fügte er 1980 hinzu, empfinde er noch heute eine große Dankbarkeit gegenüber dem Land, das ihn damals aufgenommen hatte. Frau Diallo sollte einmal ein bißchen in Sperbers Büchern lesen.