© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Umwelt
Achtung, Schönredner
Volker Kempf

Als Erich Honecker am 19. Januar 1989 verkündete, die Berliner Mauer werde „auch in 100 Jahren noch bestehen“, sprach der SED-Chef ebenso vielen westdeutschen Politikern aus der Seele. Beim Militärtechnischen Institut (MTI) gab es Planungen, die innerdeutsche Grenze mit Mikrowellenschranken und seismischen Sensoren aufzurüsten. Die Gesellschaftswissenschaftler hatten das 21. Jahrhundert gleichfalls im Blick. Unter dem Titel „Sozialismus in der DDR“ analysierten 15 Professoren und Doktoren, daß die Staatspartei mit langfristig angelegten Lösungen „erfolgreich zum Wohl des Volkes“ beitrage. Der Kapitalismus hingegen bedrohe die Zukunft durch „sinnlose Verschwendung von Naturreichtümern“, von „Grund und Boden bis zur Umweltzerstörung“. Der Sozialismus sei zwar auch auf eine „produktive Auseinandersetzung mit der Natur“ angewiesen, aber er könne dennoch ein „neues Verhältnis zur Natur schaffen“.

„Unverzichtbarer Bestandteil der wissenschaftlich begründeten Gesellschaftsstrategie.“

Wie das, angesichts der damals unübersehbaren und riechbaren Umweltverheerungen oder der Tschernobyl-Katastrophe? Ganz einfach: Der Sozialismus könne „planmäßig und vorausschauend organisieren“. Umweltpolitik sei ein „organischer, unverzichtbarer Bestandteil der wissenschaftlich begründeten Gesellschaftsstrategie“. Im Bericht des SED-Zentralkomitees an den XI. Parteitag steht es schließlich drin, daß mit allen Aufgaben in Industrie, Landwirtschaft und Verkehr „der weitere Schutz der natürlichen Umwelt“ untrennbar verbunden sei. Da kann doch nichts mehr schiefgehen. Oder? Die SED-Führung sagt, was die Wirklichkeit ist, wie die sozialistische Zukunft sich darstellt – und Professoren bestätigen das. Das war totale Wirklichkeitsverweigerung. Nur zehn Monate später war alles vorbei. Doch als Mahnung ist die DDR auch heute noch gut: Es bleibt die Erkenntnis, daß oft alles ganz anders kommt, aber dennoch bis zum bitteren Ende alles schöngeredet wird. Also, hüte sich wer kann vor den Schönrednern!