© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Barbara John war lange die Multikulti-Ikone der CDU. Heute ist sie nachdenklicher.
Die Weisheit der Jahre
Ronald Berthold

Lange war es still um Barbara John. In der vergangenen Woche aber sorgte die ehemalige CDU-Politikerin wieder für Aufsehen. Unter der Überschrift „Wenn die Einheimischen auf einmal in der Minderheit sind“ sagte sie in einem Beitrag für den Berliner Tagesspiegel den Deutschen in den Großstädten genau dieses Schicksal voraus. Nachdem in Frankfurt am Main inzwischen mehr Menschen mit Migrationshintergund lebten als ohne, würden weitere Städte bald folgen: Stuttgart und Augsburg nannte John als „Kandidaten“, in denen einheimische Deutsche in Kürze ebenfalls in der Minderheit sein werden. Dieser Prozeß sei ebenso „unumkehrbar“ wie die Angst davor „unbegründet“, versuchte John zu beschwichtigen. 

Anfang der achtziger Jahre wurde sie als erste Berliner Ausländerbeauftragte bundesweit bekannt. Nicht zuletzt, weil sie sich, obwohl von der CDU, zum Ärger vieler Unionsmitglieder und -wähler als eine Art Schutzpatronin aller Ausländer entpuppte, egal, worüber diskutiert wurde. So hatte sie rasch ihren innerparteilichen Spottnamen „Türken-Bärbel“ weg. 1989 geriet sie gar ins Feuer der eigenen Partei, nachdem die CDU bei der Abgeordnetenhauswahl in West-Berlin die Mehrheit verlor. Einer der Gründe: John hatte im Wahlkampf Anzeige gegen die Republikaner erstattet – doch danach stieg die Rechtspartei in den Umfragen und landete auch auf Kosten der Union im Parlament.

Mit radikalen rot-grünen Positionen harmonierte John damals so gut, daß sie auch unter dem neuen Koalitionssenat von SPD und grüner Alternativer Liste, geführt von Walter Momper, Ausländerbeauftragte blieb. Als Eberhard Diepgen 1991 für die CDU erneut Regierender Bürgermeister wurde, übernahm auch er sie. So blieb die Unions-Politikerin bis zu ihrer Pensionierung 2003 im Amt. Da war bereits Klaus Wowereit mit einem SPD/PDS-Senat an der Macht. 

Doch im Lauf der Zeit kehrte Vernunft ein, und John überraschte mit manch kritischem Beitrag. Heute engagiert sich die achtzigjährige Berlinerin immer noch in Migrationsfragen. Auch wenn sie stets „ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte“ genannt wird, ist John heute in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und als Ombudsfrau für die NSU-Opfer sowie als Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin tätig.

Zu ihrer Umtriebigkeit im hohen Alter sagte sie kürzlich in einem Interview: „Ich glaube auch an ein Leben vor dem Tod und zwar überzeugter als an den sedierenden Satz vom ‘wohlverdienten Ruhestand’.“ Dort mahnte sie aber auch, „bei der Einwanderung immer auf die Temperatur in der Bevölkerung“ zu achten, „insbesondere wenn viele Menschen kommen und die Gesellschaft darauf nicht vorbereitet ist“. An anderer Stelle warf sie den Kirchen vor, ihre AfD-Kritik quasireligiös zu überhöhen. Das sind altersweise Sätze, die früher von Barbara John nicht zu hören waren.