© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Söders Flugtaxis gibt es seit 75 Jahren
Luftfahrtbranche: Der Erfolg des Hubschrauber-Einsatzes ist eng mit der US-Firma Sikorsky verknüpft
Fabian Schmidt-Ahmad

Aktuell läuft es nicht gut für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Alle Umfragen zur Landtagswahl taxieren die CSU weit unter 40 Prozent. Das könnte erklären, warum der 51jährige Jurist nun von Revolutionen in der Luft träumt: „Flugtaxis und elektronisches Fliegen sind Realität“, behauptete Söder bei der Präsentation der „Bayerischen Strategie Luftmobilität“, mit der der Freistaat künftig zum Mekka alternativer Luftfahrtkonzepte werden will. Der Münchner Hauptbahnhof soll vorsorglich schon Landeplätze für Flugtaxis bekommen.

Die praktischen Schwierigkeiten dürften erheblich sein, falls die elektromobilen Flugtaxis überhaupt realistisch sind. Denn Drehflügler sind noch immer anspruchsvolle und energiehungrige Geräte, deren Entwicklung nicht ohne Grund erst Jahrzehnte nach dem Flugzeug stattfand. Der erste serientaugliche Hubschrauber der Welt war 1941 der deutsche Focke-Achgelis Fa 223. Kriegsbedingt wurden von dem Doppelrotorflieger – wie vom kleinen Flettner Fl 282 Kolibri – keine zwei Dutzend gebaut.

Der Sikorsky R-4 hingegen ging ab 1943 in dreistelligen Stückzahlen an die Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Kanadas. Für den Durchbruch der Helikoptertechnologie sorgte aber erst der H-5, der am 18. August 1943 seinen Erstflug absolvierte. Unter den Bezeichnungen S-48, S-51 oder VS-327 wurde er bis 1951 gebaut. Untrennbar verbunden mit dieser Entwicklung ist der 1889 in Kiew geborene Igor Sikorsky, der bereits als Jugendlicher, inspiriert durch Skizzen Leonardo da Vincis, mit Hubschraubermodellen experimentierte.

Nach einem Studium am Marineinstitut in Sankt Petersburg zeigte Sikorsky sein großes Talent, als er 1913 das erste viermotorige Flugzeug präsentierte, die „Russki Witjas“. Mit 27 Metern Spannweite und fast einer Tonne Zuladung stieß sie in neue Dimensionen vor. Der 1914 aus ihr entwickelte Bomber „Ilja Muromez“ hatte sogar eine Flügelspannweite von 34 Metern und konnte 800 Kilogramm Bomben und mehrere Maschinengewehre transportieren, beim Gegner als wehrhafter „Igel“ gefürchtet.

Nach der Oktoberrevolution mußte Sikorsky fliehen. Er bewarb sich jedoch vergeblich bei französischen und britischen Flugzeugbauern. Auch in den USA bekam er keine Anerkennung, bis er mit der Hilfe anderer russischer Migranten – darunter seinem Freund, dem Komponisten Sergej Rachmaninow – 1923 ein eigenes Unternehmen gründete. Der Erfolg kam mit den großen Flugbooten, die in der Zwischenkriegszeit luxuriöse Transatlantikreisen ermöglichten.

Nun finanziell unabhängig, wandte sich Sikorsky Ende der 1930er Jahre wieder seinen Hubschrauberideen zu. Dabei entwickelte er das bis heute dominante Konzept von großem Haupt- und kleinem Heckrotor zum Ausgleich des Drehmomentes. Der erste Freiflug seiner VS-300 fand am 13. Mai 1940 statt, genau 27 Jahre nach dem Erstflug der „Russki Witjas“. Zwei Jahre später zur zweisitzigen VS-316 (R-4) weiterentwickelt wurde, sie zum ersten Hubschrauber im US-Militäreinsatz.

Triebwerksleistung höher als bei einem ICE

Das neue Fluggerät zeigte sein Potential, als ihm in der Nacht zum 23. April 1944 die Luftrettung eines abgestürzten Piloten mitsamt drei Soldaten gelang. Seriennachfolgerin wurde ab 1943 die verbesserte und vergrößerte VS-327 (H-5) mit ihrer markanten Kanzel. Als taktische Waffe etablierte sich das neuartige Fluggerät im Korea-Krieg, als die S-55 (H-19) mit rund einer Tonne Nutzlast Truppen in unwegsames Gelände verlegen und Verwundete ausfliegen konnte. Die hier entwickelte Doktrin wurde dann im Vietnamkrieg angewendet.

Eingesetzt wurde hier die größere S-58 (H-34), den Deutschen auch durch ihre Rolle als Bundeswehr-Transporthubschrauber bei der großen Hamburger Sturmflut 1962 in Erinnerung. Sinnbild des Vietnamkrieges wurde jedoch ein Modell von Sikorskys ewigem Konkurrenten Bell, der UH-1. Dieser war der erste US-Militärhubschrauber mit Gasturbine. Mußten sonst Hubschrauber einen großen, sperrigen Kolbenmotor mitschleppen, so konnte die wesentlich kleinere und leichtere Turbine auf das Kabinendach verbannt werden.

Denn anders als Söder glaubt, sind Drehflügler auf einen möglichst leichten Antrieb angewiesen. Doch schon beim Elektroauto ist die Batterie als bescheidener Energiespeicher mit hohem Gewicht ein ungelöstes Problem. Es ist daher fraglich, ob deutsche Start-ups wie Volocopter mit einer übergroßen Drohne und Lilium Aviation mit einem senkrecht startenden Elektrojet überhaupt marktfähige Modelle entwickeln können, die echte Alternativen bieten.

Jenseits deutscher Subventionspolitik gibt es keinen größeren Produzenten, der mehr als nur Projektstudien verfolgt. Sikorskys jüngstes Projekt, die CH-53K, ist ein schwerer Transporthubschrauber, der bei einem Leergewicht von 15 Tonnen fast 16 Tonnen Nutzlast stemmen kann. Ermöglicht wird diese Leistung von drei Turbofan-Triebwerken mit jeweils 5.600 Kilowatt. Damit sind sie stärker als ein ICE, der seine Energie von einer Oberleitung bezieht.

Entwickelt wurde die CH-53 bereits ab 1958, als letztes eigenes Projekt von Igor Sikorsky, der 1972 starb. Im selben Jahr erhielt auch die Bundeswehr die ersten CH-53, die bis heute im Einsatz sind. Als „Skycrane“ hatte das erste Modell, später als CH-54 geführt, lediglich ein Cockpit. Die zu transportierende Last konnte mittels Winden direkt unter den Hauptrotor gezogen werden. Neben sperrigen Lasten waren dies standardisierte Container, auch zur Personenbeförderung. Damit hatte Sikorsky das Lufttaxi-Konzept vorgelegt – freilich ohne Elektromotor und ohne autonomes Fliegen.

Daran versucht sich jetzt Söder, sozusagen als Reaktion auf die Elektroauto-Pionierin Angela Merkel. Ob hier wirklich mehr als nur viel Steuergeld verzockt wird? Gut möglich, daß mit der erneuerten CH-53K auf Jahre hinaus ein Hubschrauber die Luft beherrschen wird, der noch die Handschrift Igor Sikorskys trägt, während Söders Landestellen für Lufttaxis am Münchner Hauptbahnhof künftige Generationen an Hybris deutscher Politik erinnern.

Sikorsky Aircraft Corporation:  lockheedmartin.com/

Bundeswehrhubschrauber Sikorsky CH-53:  www.luftwaffe.de/