© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Unfrieden schaffen
Fliegerhorst Büchel: Dauerproteste gegen die in der Eifel stationierten Atomwaffen verärgern Anwohner und Beschäftigte
Christian Vollradt

Das kleine Örtchen Büchel in der Eifel wäre über seine rund tausend Einwohner hinaus wahrscheinlich nur denen ein Begriff, die zur nicht weit entfernten Rennstrecke am Nürburgring fahren oder bei Cochem an der Mosel einen Abstecher nach Westen machen. Wenn Büchel nicht ein Geheimnis hüten würde, das streng genommen längst keines mehr ist. Denn hier sollen die letzten Atombomben auf deutschem Boden lagern. Offiziell wird dies von der Bundesregierung nicht bestätigt, allerdings auch längst nicht mehr dementiert.

Die mutmaßlich zwanzig Bomben vom (relativ veralteten) Typ B61-4 gehören zur sogenannten Nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik. Die hatte sich vertraglich zum Verzicht auf eigene Atomwaffen verpflichtet, um zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen den beiden Militärblöcken Nato und Warschauer Pakt unter dem Schirm der Amerikaner zu stehen. Und so ist es im Prinzip noch immer. Nukleare Teilhabe bedeutet, daß die Deutschen sich an diesem atomaren Schutzschirm ein bißchen beteiligen, indem sie Trägersysteme für amerikanische Bomben stellen. Außer Deutschland praktizieren dies noch vier weitere Nato-Mitglieder, nämlich Belgien, die Niederlande, Italien und die Türkei.

Blumensamen auf  die Startbahn streuen

Einmal im Jahr rufen Anti-Atom-Initiativen unter dem Motto „Büchel ist überall – atomwaffenfrei jetzt!“ zum Protest auf. Gerade gingen die „20 Wochen gegen 20 Bomben“ zu Ende. Die entsprechende Internetseite listet als Unterstützer oder Teilnehmer beispielswiese die radikalpazifistischen Quäker, die katholische Organisation Pax Christi, das Netzwerk Friedenskooperative, die DKP-nahe Vorfeldorganisation Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) sowie das Darmstädter Signal auf, einen sich zur sogenannten Friedensbewegung zählenden Verein von Bundeswehrsoldaten. Die Polizei teilte auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT eine Teilnehmerzahl von drei (bei Mahnwachen) bis 550 (bei einem Friedensgottesdienst) mit.

Während die Protestierer ihre Aktionen als Dienst für den Frieden und die Bevölkerung bezeichnen, sind viele Anwohner Büchels und vor allem das Personal des gleichnamigen Fliegerhorsts nur noch genervt. Dort ist das Taktische Luftwaffengeschwader 33 der Bundeswehr mit seinen „Tornado“-Kampfflugzeugen und rund 1.500 Soldaten sowie Zivilangestellten stationiert. In einem nochmals speziell gesicherten Abschnitt befinden sich die Bunker der Atombomben. Wo und wie genau sie deponiert sind, wissen auch die meisten dort stationierten Bundeswehrsoldaten nicht. Bewacht wird dieser Bereich von amerikanischen Soldaten sowie Objektschutzsoldaten der Luftwaffensicherungsstaffel S (für Sonderwaffen).

Wofür die meisten Bücheler kein Verständnis haben: Daß jedes Jahr über einen solch langen Zeitraum immer wieder die Zufahrtswege zum Standort blockiert werden können. „Bis zu eine Stunde nach Feierabend mußten wir scho warten, bis wir den Fliegerhorst verlassen durften“, beschwert sich ein dort Beschäftigter im Gespräch mit der jungen freiheit. Und wenn sich morgens ein Häuflein sogenannter Aktivisten in der Nähe der Hauptzufahrt niederläßt, werden Umwege von bis zu zwanzig Kilometern nötig. „Was hat das bitte mit Demonstrationsfreiheit zu tun?“   

Eigentlich habe es mit den Protestlern einen „Deal“ gegeben: Immer ein Tor muß frei bleiben. Doch daran sollen die sich nicht immer gehalten haben. Das bestätigt zumindest indirekt auch die Polizei: „In Einzelfällen wurden bei angemeldeten Versammlungen Absprachen nicht eingehalten“, so die Polizeiinspektion Cochem gegenüber der JF. 

Im übrigen beließen es die Atomwaffengegner nicht bei Sitzblockaden. Mehrfach durchschnitten sie den äußeren Sicherungszaun und drangen auf das Gelände vor. Auf dem Rollfeld „sangen und musizierten sie mit Akkordeon und Flöte, streuten Blumensamen und verwandelten die Startbahn für eine kurze Zeit in einen Ort des Lebens. Mit ihrer Lebendigkeit standen sie im scharfen Kontrast zu den grauen Tornados, die an diesem Morgen nur zeitverzögert ihre Kriegsübungen beginnen konnten“, heißt es in einer Mitteilung der beteiligten Quäker. Was die Friedensbewegten als „unautorisiertes Betreten“ zum Kavaliersdelikt verharmlosen, ist in Wirklichkeit nicht nur Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung, sondern ein „sicherheitsrelevanter Vorfall“ – schließlich geht es um einen militärischen Sicherheitsbereich. Ein Sprecher der Luftwaffe sagte der JF, man sehe die friedlichen Proteste vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. „Im Rahmen der Proteste verschafften sich jedoch einzelne Personen/Personengruppen wiederholt widerrechtlich Zutritt zum Fliegerhorst. Dieses Verhalten wurde und wird unsererseits nicht toleriert. Die betreffenden Personen wurden und werden den zuständigen Behörden übergeben, und es wird Anzeige erstattet.“

Viele vor Ort auf dem Fliegerhorst wurmt jedoch, daß die Sicherungsmaßnahmen viel zu lax gehandhabt worden seien.  Zwar warnen Hinweisschilder am Zaun des Areals jeden Eindringling vor „Schußwaffengebrauch“. Doch selbst die im Paragraph 17 des „Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr“ festgeschriebene Androhung des Schußwaffengebrauchs schien eher theoretischer Natur zu sein. Permanent sei den zuständigen Soldaten eingebleut worden, ja nicht zur Waffe zu greifen, auch wenn die Protestler in Richtung der Flugzeug-„Shelter“ vordringen würden. Die jährlich erscheinende Verhaltensanweisung zum grundsätzlichen Umgang mit den „Aktivisten“ habe eindeutig auf Deeskalation gezielt, erfuhr die JF. 

Als im vergangenen Jahr Demonstranten einfach durch das Haupttor marschierten, um auf den aufgestellten Luftfahrzeugen ihr „Friedensbrot“ abzulegen, hätten sich ihnen weder militärische noch zivile Wachen in den Weg gestellt, berichtet ein Soldat merklich frustriert. Er vermisse zudem härtere juristische Sanktionen. Ein Demonstrant, der den Zaun durchschnitten und auf den Standort eingedrungen war, wurde im vergangenen Jahr wegen Sachbeschädigung zu 25 Tagessätzen à 15 Euro oder ersatzweise 25 Tagen Haft verurteilt.

Der Ärger der Amerikaner führt zu Verschärfungen

Während sich die Bundeswehr offiziell grundsätzlich nicht zur Absicherung äußert und auch die Polizei „aus taktischen Gründen“ keine Details ihrer Sicherheitsmaßnahmen verraten möchte, hört man aus dem Standort, daß die jüngsten Ereignisse doch einige Änderungen bewirkt haben. Wie die JF aus Kreisen der Bundeswehr erfuhr, ist nun die Rede von einer dauerhaft auf dem Fliegerhorst stationierten Feldjägereinheit, die bei Bedarf den Außenzaun mit bewachen soll. Möglicherweise werde auch der Vertrag mit der zivilen Sicherheitsfirma zum Jahresende gekündigt.

Offenbar sollen sich zudem amerikanische Stellen bei ihren deutschen Partnern über die jüngsten Vorkommnisse beschwert haben. In der Folge würde ein zweistelliger Millionenbetrag zur Verbesserung der Sicherheit (mobile Sensoren, Kameras) freigegeben, die auf die zweithöchste Prioritätsstufe der gesamten Luftwaffe gehoben werde. Auch solle in Zukunft wieder verstärkt mit Hunden Streife gegangen werden, was es so seit Jahren nicht mehr gab. Man hatte solche Patrouillen zum Schutz der Vierbeiner vor Fluglärm eingestellt.