© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Zeitschriftenkritik: Zeitschrift für Ideengeschichte
An der Kulturfront Ahrenshoop
Dirk Glaser

Lange bevor die Dresdner Pegida-Demonstrationen den auf die Zwangsgebührensender ARD und ZDF gemünzten Begriff „Lügenpresse“ populär machten, hatte sich der Chef-Propagandist des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler (1918–2001), wöchentlich im „Schwarzen Kanal“ an diesen Säulen des „Westfernsehens“ abgearbeitet. Wer sich daran erinnert, wird erkennen, daß die Berichterstattung des bundesrepublikanischen Staatsfunks in langen Traditionen des Täuschens und Tricksens und Sudelns steht, des Weglassens wegen „mangelnder Relevanz“ (Kai Gniffke, ARD), der diffusen Desinformation und der dreisten Lüge. 

Gleichwohl waren von Schnitzlers Resonanz enge Grenzen gesteckt. Weil er zum einen zu penetrant als SED-Ideologe argumentierte, um glaubwürdig erscheinen zu können. Zum anderen wirkte der Mann wie eine geniale Loriot-Kreation, ein verbiesterter Opa Hoppenstedt aus Adlershof, mit Lupenbrille und Knörzstimme. Aber auch Herr von Schnitzler war einmal jung und – vier Ehen bezeugen es – ein flotter Don Juan. Wer’s nicht glaubt, schaue sich die Urlaubsfotos vom Ahrenshooper Strand an, die ihn 1949 mit seiner zweiten Frau, der bezaubernden Inge Keller (1923–2017) ablichten, als Schauspielerin die „diensthabende Gräfin der DDR“.

Der Marbacher Archivar Ulrich von Bülow muß den „Jahrhundertsommer“ 2018 geahnt haben, als er im Frühjahr ein Heft der Zeitschrift für Ideengeschichte dem Thema „Intelligenzbad Ahrenshoop“ widmete. Hundert Seiten über ein vergessenes Kapitel der Vor- und Frühgeschichte des SED-Staates, illustriert mit seltenen Schnappschüssen vom Ostseestrand, die neben von Schnitzler Bert Brecht, Helene Weigel, Johannes R. Becher, Victor Klemperer, Christa Wolf und den mißmutig an seiner ewigen Zigarre nuckelnden Heiner Müller ins Bild setzen. 

Diese auffällige Prominentendichte ging zurück auf einen Plan Bechers, den die Sowjetische Militäradministration im Juli 1945 an die Spitze des „Kulturbundes für demokratische Erneuerung“ gehievt hatte. Dem Kulturfunktionär ging es nach dem Vorbild der Dichter-Siedlung Peredelkino bei Moskau darum, einen attraktiven „Intellektuellen-Sammelpunkt“ zu organisieren, wo Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler aus allen Besatzungszonen im Zeichen der kommunistischen „Volksfront-Politik“ Deutschlands kulturellen Neuaufbau vorbereiten sollten.

Den Höhe- und den – zumindest gesamtdeutschen – Endpunkt dieses Unternehmens markiert die Ahrenshooper Sommerakademie 1947. Dort traten die unversöhnlichen Positionen zwischen Ost und West während der Diskussion zu Person und Werk Ernst Jüngers zutage. Ein dazu erstmals publizierter Brief Ernst Niekischs, seines einzigen Verteidigers in hitziger Debatte, an Jünger vermittelt einen lebendigen Eindruck von der Atmosphäre des Kalten Krieges, die hier an der Kulturfront heraufzog.

Kontakt:  Zeitschrift für Ideengeschichte, C. H. Beck Verlag, Wilhelmstraße 9, 80801 München. Das Einzelheft Heft 2/2018 kostet 14 Euro, jährlich für vier Hefte 48 Euro.

 www.z-i-g.de