© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Wenn die Schule keine Lehrer, die Armee keine Soldaten, die Kirche keine Geistlichen und die Verwaltung keine Beamten mehr findet, jedenfalls keine geeigneten, gibt es fallweise verschiedene Gründe, aber einen Hauptgrund: den antiinstutionellen Affekt, der über Jahrzehnte von Linken wie Liberalen gezüchtet wurde.

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Der Afrikanist Bernard Lugan hat in der jüngsten Ausgabe seiner Online-Zeitschrift L’Afrique Réelle das Scheitern westlicher Interventionen auf dem Schwarzen Kontinent unter dem Aspekt der ewigen Wiederkehr des Gleichen behandelt. Seiner Meinung nach erklären sich die Fehlschläge nicht nur aus einer weltfremden Vorstellung von „Entwicklung“, es spiele auch eine entscheidende Rolle, daß Europa außerstande sei, das entscheidende Problem zu lösen: das „Zusammenleben von Bevölkerungen, die alles trennt und die dazu verdammt sind, gemeinsam in einem künstlichen Staat zu leben“, der von den Kolonialmächten geschaffen und dessen Existenz aus Trägheit oder Eigennutz niemals in Frage gestellt wurde.

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Auf Anordnung des italienischen Innenministers werden für die Formulare zur Beantragung von Ausweispapieren nicht mehr die Kategorien „Elter 1“ und „Elter 2“ verwendet, sondern wieder „Vater“ und „Mutter“.

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Auf die Frage, ob man bereit wäre, das Vaterland unter Einsatz des eigenen Lebens zu verteidigen, antworten in Finnland mehr als 74 Prozent der Erwachsenen mit Ja, in der Ukraine sind es 62 Prozent, in Rußland 59 Prozent, es folgen der Kosovo mit 58, Bosnien-Herzegowina und Schweden mit 55 Prozent, dann Griechenland mit 54 Prozent. Die meisten anderen europäischen Staaten bewegen sich zwischen 30 und 50 Prozent. Unter diesem Sockel liegen Frankreich, Portugal, Großbritannien, Tschechien und Österreich, die es aber noch auf einen Anteil von mehr als zwanzig Prozent bringen, während Belgien mit 19 Prozent, Deutschland mit 18 Prozent und die Niederlande mit 15 Prozent die geringste Quote aufweisen. Im globalen Maßstab ist Europa sowieso weit abgeschlagen. In den meisten Staaten sind Anteile von 70 bis über 90 Prozent das Übliche, die USA bringen es immerhin auf 44 Prozent, während ehemalige europäische Siedlerkolonien wie Kanada und Australien sich mit ihren Angaben kaum von den Daten des Abendlandes unterscheiden. Bemerkenswert ist auch der Zusammenhang von Patriotismus und Religion: die Überzeugung, daß das Leben der höchsten Güter nicht ist, nährt erwartungsgemäß der Islam, gefolgt vom Hinduismus und – erstaunlicherweise – dem Buddhismus. Selbst Atheisten sind eher als Christen bereit, ihr eigenes Land zu schützen, und natürlich stellen die Protestanten die meisten Pazifisten.

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Die Reaktion Erdogans auf den Druck Trumps zeigt zweierlei: die wohltuenden Folgen einer Kanonenbootpolitik, selbst wenn gar kein Kanonenboot zum Einsatz kommt, und die Art und Weise, wie man mit einem Menschentypus umzugehen hat, der an notorischer Selbstüberschätzung leidet.

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In einem klugen Essay in der Neuen Zürcher Zeitung kritisiert Hans Widmer den Kulturrelativismus und weist auf die Bedeutung des europäischen Humanismus hin. Dabei handele es sich nicht um irgendeine Spielart menschlicher Existenz, sondern um die „einzige der Menschennatur angemessene Kultur“. Dann fügt er allerdings hinzu, der Humanismus sei „nichts a priori Europäisches, aber hier haben sich zufällig die menschlichen Möglichkeiten Bahn gebrochen. Er darf als Ergebnis der von der Menschennatur angetriebenen Kulturrevolution auf der ganzen Welt Gültigkeit beanspruchen.“ Es stellt sich angesichts dessen nicht nur die Frage, wie etwas, das nur ein Zufallsergebnis der Geschichte ist, als normativ angesehen werden kann, sondern auch die, wie hoch man die Wahrscheinlichkeit einschätzen soll, daß „die menschlichen Möglichkeiten“ der „Menschennatur“ auch außerhalb unseres Kontinents zur Geltung gekommen wären. Die Geschichte des Planeten vor wie nach seiner Europäisierung spricht eher gegen diese Hypothese.

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Die Konservativen sind fromme Leute. Wie im Himmelreich mehr Freude ist über einen bekehrten Sünder als über neunundneunzig Gerechte, herrscht unter ihnen mehr Begeisterung über einen Linken, der zu besserer Einsicht kommt, als über neunundneunzig eigene Leute, die immer schon das Rechte wußten.

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Wenn im Herbst die offiziellen Gedenkfeiern für das Ende des Ersten Weltkriegs stattfinden, wird sicher viel über Versöhnung und das gewonnene Maß europäischer Eintracht geredet. Aber man gebe sich keiner Illusion hin: Unsere Hauptgegner von einst gedenken ihrer Helden und Gefallenen, wie man es seit je getan hat, und feiern den Sieg über einen Feind.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 7. September in der JF-Ausgabe 37/18.