© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Ein Glanzstück der Schaufensterdiplomatie
Ein unverbindlicher Friedensvertrag: Vor neunzig Jahren wurde der Briand-Kellogg-Pakt unterzeichnet
Stefan Scheil

Der US-amerikanische Senat wollte es genau wissen. „Gehen wir davon aus, daß irgendeine Nation diesen Vertrag bricht. Warum sollte uns das etwas angehen?“ fragte Senator Thomas Walsh aus Montana den Außenminister der Vereinigten Staaten. „Dafür besteht nicht der geringste Grund“, lautete Frank B. Kelloggs Antwort. Das von ihm mit Frankreichs Staatspräsident Aristide Briand ausgehandelte Abkommen, als sogenannter Briand-Kellogg-Pakt populär geworden, verpflichte die USA zu nichts.

Man hätte jetzt fragen können, warum er dann eigentlich geschlossen wurde, dieser Pakt, den die Öffentlichkeit während des Senats-Hearings draußen lautstark als Beginn eines neuen Zeitalters feierte. Aber in der Vorgeschichte des Briand-Kellogg Pakts von 1928 spielte Zynismus keine kleine Rolle. Die spezielle Mischung aus taktischem Kalkül und öffentlichem Moralismus bei gleichzeitig wirtschaftlichen und strategischen Vorbehalten einzelner Regierungen, von der moderne Politik oft geprägt wird, wurde in der Vorgeschichte des Briand-KelloggPakts geradezu zelebriert. Vor neunzig Jahren wurde er unterzeichnet. 

Vertragsdokument voll ausgewogener Inhaltsleere

Am Anfang hatte der Wunsch der französischen Regierung gestanden, zu einem „besonderen“ Verhältnis mit den USA zu kommen. Sie wollte deren Unterstützung in den damals anstehenden, besser gesagt: den drohenden Verhandlungen über eine allgemeine Abrüstung. Fast zehn Jahre war es her, da hatte man Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg in Versailles mit falschen Schuldvorwürfen zur einseitigen Abrüstung genötigt, mit dem Versprechen, irgendwann selbst zu folgen. Die USA hatten die Beteiligung an diesem Manöver letztlich abgelehnt und mit Deutschland einen Sonderfrieden geschlossen. Nun sollte in Genf aber bald eine allgemeine Abrüstungskonferenz stattfinden, die dem Geist des Versailler Vertrags von 1919 verpflichtet sein mußte. Jedenfalls erwartete das die Öffentlichkeit. Die Deutschen würden in Genf die Rechnung präsentieren, damit wurde allgemein gerechnet.

So schlug denn Aristide Briand, zusammen mit dem deutschen Außenminister Gustav Stresemann Friedensnobelpreisträger des Jahres 1926, ein Abkommen über eine gegenseitige Kriegsverzichtserklärung zwischen den USA und Frankreich vor. Das waren zwei Staaten, die 1928 nun alles andere als im Begriff standen, übereinander herzufallen. 

Ein Begeisterungssturm in der US-amerikanischen Öffentlichkeit verwandelte den Vorgang in wenigen Wochen in ein Politikum ersten Ranges. Frank Kellogg nutzte die unerwartete Gelegenheit und beantwortete den französischen Vorschlag im Dezember 1927 mit dem Gegenvorschlag für einen von allen Staaten zu unterzeichnenden Vertrag über den Verzicht auf Krieg als Mittel nationaler Politik. Probleme sollten künftig durch friedliche Streitregelung gelöst werden. 

Das war nun ziemlich genau das Gegenteil von dem, was sich die Franzosen erwartet hatten, die zur Erhaltung ihrer Vormachtstellung gegenüber Deutschland nicht auf die Androhung von Gewalt verzichten konnten und deren Vorschlag ursprünglich auf eine symbolische Rückendeckung Washingtons in genau dieser Sache gezielt hatte. Die französische Regierung wollte nun aber den amerikanischen Gegenvorschlag angesichts seiner Popularität nicht einfach ablehnen. Sie war obendrein unter Druck geraten, da man in Berlin schnell auf den fahrenden Zug gesprungen war und Interesse an einem Vertragsabschluß zu amerikanischen Bedingungen bekundete. Da Deutschland sich mit seiner auf 100.000 Mann beschränkten Reichswehr im damaligen Zustand weder effektiv verteidigen noch angreifen konnte, ließ sich ein allgemeines Gewaltverbot auch leicht unterschreiben Es blieb als einzig denkbare französische Taktik übrig, den Vertrag nach Kräften zu verwässern.

Die Pariser Diplomatie tat das und wurde dabei von vielen Seiten unterstützt, so daß schon nach acht Monaten ein Vertragsdokument voll ausgewogener Inhaltsleere unterzeichnet werden konnte. So ernstgemeint war der Kriegsverzicht nun auch wieder nicht, daß etwa die USA in Zukunft ein Eingreifen in Lateinamerika unterlassen wollten. Ähnlich behielten sich Großbritannien und Frankreich Interventionsrechte in ihren jeweiligen Einflußzonen und Imperien vor. Manche Staaten waren eben auch in diesem angeblich universalen Antikriegspakt gleicher als andere. Ein Umstand, der Adolf Hitler während der Arbeit an seinem „Zweiten Buch“, an dem der Führer der 2,9-Prozent-Kleinpartei der Maiwahlen 1928 gerade in diesen Monaten schrieb, den bissigen Kommentar eingab, es falle „den Briten eben nicht ein, für etwas, was sie an Liberia blutig rächen, mit den USA auch nur eine Note auszutauschen“.

Der Briand-Kellogg-Pakt sah gegenüber Vertragsbrechern keine automatischen Sanktionen vor. Einen Vertrag mit fehlenden Verpflichtungen konnte jedes Land unterschreiben, und so kam es denn auch. Trotzdem also in kurzer Zeit fast alle bedeutenden Staaten dem Abkommen beigetreten waren, wurde es letzten Endes nicht wirkungsvoll. Die Staatenwelt mußte ohne verbindliche Vertragswerke in die nächste Krise gehen.

Was Kellogg selbst von der Verbindlichkeit seines Produkts hielt, verkündete er wie gesehen einige Monate später vor dem Senatsausschuß für Auswärtige Angelegenheiten. Die Vereinigten Staaten seien innerhalb des Vertrags nicht verpflichtet, den Opfern eines Angriffs zu helfen, da solche Angriffe bereits bewiesen hätten, daß der Vertrag aufgehoben worden sei. Der Friede wurde also nur so lange garantiert, wie Frieden bestand. Und das tat und tut er nur selten, wenn man es genau betrachtet.