© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Die natürlichen Schranken der Energiewende
Sonne und Wind stellen keine Rechnung, könnten die herkömmlichen Stromlieferanten aber nicht ersetzen
Christoph Keller

In der Legislaturperiode von 2013 bis 2017 war Annalena Baerbock klimapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Diese vier Jahre nutzte die Politologin jedoch nicht dazu, sich in die ihr wesensfremde naturwissenschaftliche Materie einzuarbeiten. Im Januar 2018, kurz vor ihrer Wahl zur Co-Vorsitzenden der Grünen, wartete die Wahl-Potsdamerin im Deutschlandfunk mit der revolutionären physikalischen Erkenntnis auf, wonach die wichtigste Weiche zum Erfolg der Energiewende bereits gestellt sei: Das kardinale Stromspeicherproblem, für das es nicht einmal ansatzweise eine diskussionswürdige Lösung gibt, erklärte Baerbock nämlich kurzerhand für gegenstandslos. Denn: „Das Netz fungiert als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.“

Zu geringe Leistungsdichte bei erneuerbaren Energien

Horst-Joachim Lüdecke, bis 2008 Professor für Informatik, Operations Research und Physik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlands, heute im Unruhestand ein scharfer Kritiker des von der Bundesregierung betriebenen Ausstiegs aus Kohle und Kernkraft (JF 29/18), dürfte wohl auch an Baerbock sowie an ähnlich unbedarfte Politiker gedacht haben, als er seinen didaktisch mustergültig strukturierten, auch physikalisch-mathematischen Klippschülern verständlichen Aufsatz über „Die naturgesetzlichen Schranken der Energiewende“ schrieb (Naturwissenschaftliche Rundschau, 6/18).

Die Zauberworte, die Lüdecke als Verständnisschlüssel dienen, heißen Leistungs- und Energiedichte. Gleich sein erstes plastisches Beispiel vermittelt überzeugend, was darunter zu verstehen ist. Wäre der russische Eisbrecher „Arktika“, der zwei kleine Kernreaktoren besitzt, die Energie für zwei Generatoren mit einer Gesamtleistung von 55,2 Megawatt liefern, auf Photovoltaik statt auf Uran angewiesen, gliche er einem gigantischen Flugzeugträger: Für eine vergleichbare Leistung Sonnenstrom wären 5,5 Quadratkilometer Deckfläche mit Solarzellen nötig. Entschiede man sich dafür, den Eisbrecher mit Windkraft fahren zu lassen, wäre ein Ungetüm zu konstruieren, das 42 Turbinen des modernsten Typs Enercon E 126 (198 Meter hoch und mit jeweils 1,3 Megawatt Leistung) zu tragen hätte.

Die Frage, warum die erneuerbaren Energien Sonne und Wind einen derart extremen Aufwand erfordern würden, um die „Arktika“ fortzubewegen, beantwortet sich aus einer simplen Gleichung. Je höher die Energiedichte eines Elements ist, desto weniger Wirkfläche ist für die Leistung nötig. Bei Uran und Kohle mit einer Leistungsdichte von 300.000 beziehungsweise 250.000 Watt pro Quadratmeter entfaltet sich die Energie daher auf der Hüllrohrfläche des Reaktors und der Brennkesselwand mit ihren eher bescheidenen Abmessungen.

Demgegenüber stürzt die Leistungsdichte von Wind und Sonne regelrecht ab, auf kümmerliche 45 bis 200 Watt bei Turbinen und sogar auf zehn Watt pro Quadratmeter bei Solarzellen. Die Elemente Wind und Sonne haben „naturgesetzlich bedingt“ nur minimale Leistungsdichten. Dementsprechend müssen die Photovoltaik-Flächen beim Solarantrieb und die von den Turbinenflügeln überstrichenen Flächen beim Windradantrieb extrem groß sein. Trotzdem könne eine Windturbine, obwohl mit Spitzentechnologie hochgerüstet, dieses natürliche Handicap geringer Leistungsdichte niemals überwinden. Sie sei daher nichts anderes als ein Rückfall in mittelalterliche Methoden, mit Wind Mühlen oder Schiffe anzutreiben.

Aber sowenig wie sich eine Pferdekutsche mit heutiger Computersteuerung in ein leistungsstarkes Motorfahrzeug verwandle, so sehr sei die beste Technik machtlos gegen die geringe Leistungsdichte von Wind und Sonne. Daraus leitet Lüdecke die Faustformel für die deutsche Energiepolitik ab, die sie nur bei Strafe ihres Scheiterns ignorieren darf: „Je kleiner die Leistungsdichte einer zur Stromerzeugung genutzten Energieform ist, desto größer müssen die Wirkflächen für die betreffende Methode sein, und desto aufwendiger und kostspieliger ist die Methode.“

Mit Energiemais den Stromverbrauch sichern?

Prinzipiell ließe sich die erstaunlich geringe Leistungsausbeute der „Erneuerbaren“, die für Sonne, Wind und Mais mit dem Faktor 1,6 bis 3,9 (Gas 28, Kohle 30, Kernkraft 75) weit unter der von der OECD berechneten wirtschaftlichen Schwelle für Energieeffizienz (Faktor 7) liegt, zwar erheblich steigern. Aber nur, wenn der Flächenverbrauch ohne Rücksicht auf Natur und Mensch ausgedehnt würde. So könnte etwa Energiemais den Inlandsstromverbrauch Deutschlands sichern: vorausgesetzt, es stünde mit 310.000 Quadratkilometern fast das gesamte Bundesgebiet als Anbaufläche zur Verfügung.

Für eine Stromvollversorgung mit Windrädern wäre hingegen nur die Fläche Bayerns zu opfern. Was aber nach einer Studie des Umweltbundesamts zumindest nach geltenden Abstandsregelungen für Windturbinen unmöglich ist. Bliebe der Gesetzgeber beim Abstand zur nächsten Wohnsiedlung beim Zehnfachen der Gesamthöhe der Windturbine, wären nur noch maximal 0,4 Prozent Fläche für den weiteren Ausbau nutzbar. Der Ausbauplan der Bundesregierung im „Klimaschutzplan 2050“ erscheine daher schon heute als „unrealistisch“.

Schließlich seien die weiteren enormen gesellschaftlichen Kosten einer theoretisch immerhin denkbaren, zwecks Kompensation der miesen Energieeffizienz der Erneuerbaren notwendigen exzessiven Politik des Flächenfraßes in Rechnung zu stellen. Heute bereits zahle der deutsche Verbraucher den höchsten Strompreis in Europa, koste das Erneuerbare-Energien-Gesetz Industrie und private Stromkunden 30 Milliarden Euro pro Jahr, die damit bei freien Marktverhältnissen gar nicht konkurrenzfähige Energieformen mitsamt der für den wetterabhängigen „Wackelstrom“ unverzichtbaren konventionellen Ersatzkraftwerke subventionieren.

Zugleich schreite die Umwelt- und Heimatzerstörung voran, töten Windräder jährlich Hunderttausende Vögel und Fledermäuse, peinigen Anrainer gesundheitlich mit Infraschall, der sich nachweislich negativ auf die menschliche Hirnaktivität auswirke und dessen noch unerforschte weitergehende physiologische Belastungen Schlimmes befürchten ließen.

Ständig unterbrochen von Pöbeleien aus der Politologen-Fraktion, hat der AfD-Abgeordnete Marc Bernhard unlängst im Bundestag vorgerechnet, daß die Betonmassen für aktuell 28.000 Windturbinen das Äquivalent für 6.860 Kilometer Autobahn sind. Ihr Symboltier, den „Käfer Karl“, dessen Schutz vor Lebensraumverlust durch Straßenbau sie in den 1980ern poetisch beschwor, verrate die einst als Natur- und Artenschützer angetretene Öko-Partei mit ihrem Energiewende-Fanatismus also gegenwärtig gleich millionenfach.

Letztlich vertraut auch Horst-Joa-chim Lüdecke nicht grüner Lernfähigkeit. Sondern der rapide schwindenden Akzeptanz, die sich für ihn in den tausend Bürgerinitiativen gegen Windkraft spiegelt. Nicht allein die naturgesetzlichen Schranken, auch der sich versteifende gesellschaftliche Widerstand nährt seine Hoffnung auf ein Ende des Wahns.

 www.naturwissenschaftliche-rundschau.de

„Der Klimaschutzplan 2050 – Die deutsche Klimaschutzlangfriststrategie“ des Bundes:  bmu.de