© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Umwelt
Versorgung in Gefahr
Volker Kempf

Sollte es in sechs Monaten zu einem harten Brexit kommen, ist das Brüsseler Erpressungspotential begrenzt: Austrittsminister Dominic Raab ist fleißig dabei, die britischen Lebensmittel- und Medikamentenvorräte aufzustocken. Hierzulande scheint die Frage der Selbstversorgung nur etwas für Globalisierungsfeinde, Prepper oder gar Reichsbürger. Das war nach den Weltkriegen noch anders. Da saß das Hungerwinter-Trauma noch tief. Die Landwirtschaft mußte krisenfest sein. Das Ergebnis waren schließlich subventionierte Fleischberge und Milchseen. Gilt das heute immer noch? In der Neuen Ordnung (2/18) analysiert Wolfgang Dvorak-Stocker die Eigenbedarfsdeckung. Bei Getreide sind es hundert Prozent, wobei die Hälfte an Tiere verfüttert wird. Bei den Kartoffeln produziert Deutschland 134 Prozent des Eigenbedarfs, Österreich 92 Prozent. Auch bei Gemüse liege der Selbstversorgungsgrad im Hundert-Prozent-Bereich.

Die Importabhängigkeit beim Soja könnte durch Insekten als Futter kompensiert werden.

Bei Fisch sind es in Österreich hingegen nur fünf und in Deutschland bestenfalls 20 bis 25 Prozent. Bei Käse, Milch und Eiern müßte die EU sogar ein Fünftel mehr Ackerfläche haben, um den Sojabedarf für die Tierfütterung selbst zu decken. Insgesamt gehe der Selbstversorgungsgrad bei Lebensmitteln zurück, in Deutschland von 98 Prozent (1990) auf 85 Prozent (2017). Und es verschwindet immer mehr Ackerfläche. Die Importabhängigkeit beim Soja könnte aber durch Insekten als Futter kompensiert werden: Hühner würden auch Maden lieben. Das erinnert an Carl Amerys Streitschrift „Die Botschaft des Jahrtausends“ von 1994. Nun also ein konservativer Verleger. Ist die Lage so ernst? Dabei hat Dvorak-Stocker die vielen „Geflüchteten“ ganz vergessen: je mehr Zuwanderung, desto geringer der Selbstversorgungsgrad. Vernünftig ist das nicht. Aber wann hat die Vernunft in Deutschland zuletzt regiert? Das muß schon länger her sein.