© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Jung, dynamisch, umjubelt
Gastauftritt: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bei der CDU in Thüringen
Lukas Steinwandter

Die Halle ist rappelvoll, das Licht gedimmt. Thriumphalische Musik erklingt. Dann schreitet der Stargast des Abends, Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), durch die Flügeltür. Die Besucher erheben sich, klatschen, jubeln. 3.300 sind zum Jahresempfang der CDU-Fraktion in die Erfurter Messe gekommen. Das Motto an diesem Donnerstag abend: „Ein Europa, das eint.“ Es ist dasselbe, unter dem die österreichische EU-Ratspräsidentschaft steht.

Bereits eineinhalb Stunden vor Beginn stehen über hundert Gäste fein geordnet vor der Messetür, vor der sich zwei stämmige Sicherheitsmänner aufgebaut haben. Ganz vorne hat es sich ein Trio älterer Herren auf Stühlen bequem gemacht. Ihre Stimmung ist gut. „Ich war jedes Jahr hier, aber heute freut’s mich ganz besonders“, sagt einer von ihnen, das Thüringer Landeswappen am Revers. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, wohl aber den Grund für seine Freude: Sebastian Kurz.

2017 war Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Gast. In diesem Jahr ist aus Wien ihr Gegenpart gekommen – zumindest was die Flüchtlingspolitik anbelangt. Drei Tage vor dem Auftritt in Thüringen forderte Kurz, EU-Länder sollten Schiffe mit Einwanderern aus Afrika nicht mehr anlegen lassen. Den CDU-Anhängern hier gefallen solche markigen Sprüche. 

Regina, Anfang 60, ist zusammen mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter hier. Sie stammt ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen, ist seit Jahrzehnten CDU-Mitglied und äußert sich, wie es sonst nur AfD-Politiker tun. Die Flüchtlinge müßten bereits auf dem Mittelmeer gestoppt und wenn sie kein Recht auf Asyl hätten zurückgebracht werden. „Und das wären dann die meisten. Die muß man alle zurückbringen“, sagt sie und betont: „Das können Sie auch so schreiben!“ 

Die Tochter schaltet sich ein. „Ich bin aus der CDU ausgetreten, weil mir der Kurs von Frau Merkel zu schwammig war.“ Heute sei sie trotzdem zu einer CDU-Veranstaltung gekommen – wegen Kurz. Die CDU bräuchte einen wie ihn. „Oder Seehofer“, ergänzt die Mutter. Kurz und Seehofer, das sind die Namen, die an diesem Abend unter den Besuchern immer wieder fallen. 

„Weniger konservativ als vielmehr vernünftig“

Ganz anders sieht es mit der AfD aus. Sie ist ein rotes Tuch. Zwischen der CDU-Basis und AfD-Politikern, die medial negativ in Erscheinung treten, verläuft ein tiefer Graben. „Die kann man nicht wählen, so wie die sich äußern“, erklärt Lothar, Rentner aus Erfurt. Kopfnicken bei seinen Begleitern. Hierbei sind sich Körper und Kopf der Partei einig. Bevor Kurz und Mike Mohring, Fraktions- und Landeschef der thüringischen CDU, in die Halle treten, geben sie abgeschirmt von Planen und Sicherheitsmännern Pressestatements ab. Ob er Mohring raten würde, mit der AfD zu koalieren, wie er es ja mit der FPÖ tue, wird der ÖVP-Chef gefragt. „Nein, das würde ich ihm nicht raten.“ Man könne die politischen Systeme Österreichs und Deutschlands nicht übertragen. Zudem seien die „AfD und FPÖ nicht eins zu eins vergleichbar“. Mohring bekräftigt: Eine Koalition mit Linkspartei oder AfD werde es nicht geben.

In Thüringen wird 2019 ein neuer Landtag gewählt. Laut Umfrage ist die CDU mit 30 Prozent stärkste Kraft. Die AfD kommt auf 23 Prozent und liegt auf Platz zwei. Rot-Rot-Grün wäre mit 38 Prozent Zustimmung weit von einer regierungsfähigen Mehrheit entfernt. Auf welche Themen die CDU im Wahlkampf den Fokus setzen wird, zeigen denn auch ein Video und die Festrede Mohrings: Flüchtlinge, Flüchtlinge, Familie, Bildung und Flüchtlinge.

Auf dem Weg zur Messehalle geht Kurz zu einem CDU-Anhänger, der ihn eifrig um ein Foto bat. Bei den Umstehenden kommt das an: ein Kanzler, jung, dynamisch und menschlich. Mohring huschte gleich hinterher, immer sichtlich darauf bedacht, daß nichts schiefgeht heute, da sein „Freund Sebastian“ zu Gast ist. Der hatte den Besuch ausdrücklich als „Besuch unter Schwesterparteien“ deklariert. 

Die Thüringer Veranstalter wußten Kurz zu schmeicheln – die Singertaler Philharmonie spielte den Radezkymarsch – und Kurz wußte, welche Knöpfe er bei dem Publikum drücken mußte, um tosenden Beifall einzuholen. In seiner Festrede präsentierte er die drei Schwerpunkte der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Vor allem gelte es, „die Spannungen innerhalb der EU abzubauen“. Er wolle kein Europa, wo der Norden über den Süden greine und der Osten über den Westen klage. Dafür müßten die Außengrenzen besser geschützt und Lösungen für die Asylfrage gefunden werden. Überdies brauche es verstärkte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Dafür erntet Kurz immer wieder langen Applaus.

Ging der Plan Mohrings auf, mit dem Besuch des ÖVP-Chefs das konservative Profil der Partei zu schärfen? Die CDU setze viel Hoffnung in die österreichische Ratspräsidentschaft, sagt der Landesvorsitzende der JUNGEN FREIHEIT. „Bundeskanzler Kurz will vor allem den wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen und ein einheitliches, funktionierendes europäisches Asylsystem vorantreiben. Die EU muß liefern, damit das Vertrauen in ihre Institutionen und Repräsentanten nicht verlorengeht.“ Zudem müsse sich die EU auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren und Souveränität an die Mitgliedstaaten und Regionen zurückgeben. „Das alles ist für mich weniger konservativ als vielmehr vernünftig.“

Und die AfD? Die falle „vor allem durch Provokationen auf und strapaziert mit erinnerungspolitischen Ausfällen erheblich die politische Kultur“, kritisiert Mohring. Auf vielen Feldern sei sie überdies „inhaltlich schlicht blank“. Er tritt selbstbewußt auf. An diesem Abend präsentiert sich eine CDU, die jene Themen angehen will, die den Bürgern auf den Nägeln brennen.