© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Belastete Gesprächsatmosphäre
Energiepolitik: Die Kohleausstiegskommission streitet unter Zeitdruck / Was wird aus den Arbeitsplätzen?
Paul Leonhard

Am 21. Dezember ist Schicht im Schacht auf der letzten deutschen Zeche Prosper-Haniel im westfälischen Bottrop. Doch nicht nur der vom Steuerzahler subventionierte deutsche Steinkohlenbergbau wird abgewickelt, auch der profitable Braunkohletagebau und die entsprechenden Kraftwerke sollen nach dem Willen von sechs der sieben Bundestagsparteien möglichst schnell verschwinden. Nur die AfD stellt sich demonstrativ quer.

Die am 6. Juni eingesetzte „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (WSB)“ (Kohlekommission) steht daher unter akutem Zeitdruck. Bis Jahresende erhofft sich die Bundesregierung von den 28 stimmberechtigten Abgesandten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften, Umweltverbänden und Bürgerinitiativen konkrete Vorschläge für einen schnellen Ausstieg aus der Kohleverstromung. Wobei es nicht um das Ob geht, sondern nur um den Zeitrahmen. Mitglieder der Oppositionsparteien sind in der Kohleausstiegskommission nicht vertreten.

USA und Australien beerdigen Klimaziele

Die dritte WSB-Tagung vorige Woche stand allerdings unter keinem guten Stern. Während die EU-Kommission in Brüssel über eine Anhebung ihres sogenanten Klimaschutzziels für 2030 nachdenkt und die „Treibhausgasemissionen“ (gemeint ist im Prinzip nur Kohlendioxid/CO2) verglichen mit dem Stand von 1990 nicht nur um 40, sondern um 45 Prozent sinken sollen, verkündete Donald Trump, es künftig den US-Bundesstaaten zu überlassen, Klimaschutzvorgaben für bereits existierende Kohlekraftwerke festzulegen.

Australiens Premierminister Malcolm Turnbull sah sich nach handfester Kritik aus dem konvervativen Lager seiner Liberalen Partei gezwungen, auf eine drastischere Reduzierung der CO2-Emissionen zu verzichten. Bisher wollte der fünfte Kontinent die Emissionen bis 2030 um 26 Prozent im Vergleich zu 2005 senken. Doch die durch die Schließung von Kohlekraftwerken verursachten dramatischen Stromausfälle 2016/2017 haben ein Umdenken ausgelöst. Australien ist nach China, den USA und Indien der viertgrößte Steinkohlenproduzent. In Australien wird die Steinkohle – deren Brennwert dreimal höher ist als der von Braunkohle – kostengünstig im Tagebau abgebaut.

In Deutschland wurde das bislang allenfalls am Rande wahrgenommen. Und in der Kohlekommission wurde nun tatsächlich zwei Stunden über ein Nebenthema diskutiert, das gar nicht auf der WSB-Tagesordnung stand: die ab Oktober geplanten Rodungen für einen Braunkohlentagebau durch den REW-Konzern im Hambacher Forst (Bürgewald) westlich von Köln. Die Umweltorganisation BUND hatte die Gunst der Stunde genutzt und damit gedroht, ihren Experten aus der Kommission zurückzuziehen, falls der Kahlschlag nicht untersagt werde.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock verlangte von der Bundesregierung, ein Moratorium zum Hambacher Forst für die Zeit der Arbeit der Kohlekommission durchzusetzen. Ihre Parteifreunde in der schwarz-grünen hessischen Landesregierung sind da viel weniger emotional: Die Höhenlagen des Reinhardswalds in Nordhessen sollen Windvorranggebiet werden – sprich: Im Zweifel kann die Motorsäge agieren, damit sich Windkraftanlagen für die Energiewende drehen können. Aber „wir haben im Reinhardswald ja nicht die ganze Fläche verplant“, verteigt sich Umweltministerin Priska Hinz. Das habe „nichts mit großflächiger Abholzung zu tun“.

RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz argumentiert nach dem gleichen Muster: Die geplanten Rodungen im Hambacher Forst seien unumgänglich, um den Fortgang der Tagebaubetriebe des Rheinischen Braunkohlereviers sicherzustellen. Es handele sich um „eine kontinuierliche und planmäßige sogenannte Vorfeldfreimachung“. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verwies darauf, daß die rot-grüne Vorgängerregierung den Braunkohleabbau bis 2045 genehmigt habe. Von einer „belasteten Gesprächsatmosphäre“ berichteten nicht genannte Teilnehmer dem Handelsblatt. „Um die wesentlichen Themen schleichen wir herum.“ Vergeblich hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) gebeten, „Störfeuer“ zu unterlassen: „Ich erwarte, daß die Debatten dort stattfinden, wo sie hingehören, nämlich in der Kommission.“

Steinkohlekraftwerke als Reserve vorhalten?

Außen vor gelassen fühlen sich die energieintensiven Unternehmen, die ein Viertel des deutschen Stroms verbrauchen. „Bei den bisherigen Sitzungen der Kommission wurden unsere Belange stiefmütterlich bis gar nicht behandelt“, kritisierte Franziska Erdle, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Metalle. Sie rechnet beim Nettostrompreis mit einem Anstieg von 50 Prozent, was zu Mehrkosten von 1,8 Milliarden Euro jährlich führen würde.

Den betroffenen Bundesländern (NRW, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Saarland) geht es vor allem um den Erhalt von Hunderttausenden gut bezahlten Arbeitsplätzen in und um die Kohleverstromung sowie in der energieintensiven Industrie. Deren Wirtschafts- und Energieminister fordern eine stärkere Berücksichtigung der Folgen für Versorgungssicherheit und Strompreise bei einer vorzeitigen Abschaltung der Kohlekraftwerke und einen Ausstieg mit Augenmaß.

Bisher sei die energiewirtschaftliche Ausgangslage unzureichend geklärt worden, kritisiert NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) in einem Brief an die vier WSB-Kommissionschefs Ronald Pofalla und Stanislaw Tillich (CDU), Matthias Platzeck (SPD) und Barbara Praetorius (Ex-Vizedirektorin bei Agora Energiewende). Auch müßten die Entwicklungen in den europäischen Nachbarländern beachtet werden. Das findet auch der Verband der Chemischen Industrie: „Unter klimaschutzpolitischen Gesichtspunkten ist es ziemlicher Unfug, wenn man bei Engpässen künftig auf polnischen oder tschechischen Kohlestrom zurückgreifen muß“, so Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann.

„Ein vorzeitiger Kohleausstieg würde zu steigenden Börsenstrompreisen führen und der energieintensiven Industrie schaden“, warnte NRW-Minister Pinkwart. Flexible konventionelle Kraftwerke würden so lange benötigt, bis „Stromspeicher, Nachfrageflexibilisierung und intelligente Netze diese Rolle vollständig übernehmen können“, warnt Sachsens Amtskollege Martin Dulig (SPD).

Verfechter eines schnellen Kohleausstiegs behaupten, daß lediglich einige große Steinkohlekraftwerke als Reserve vorgehalten werden sollten, die nach und nach durch kleine Gasmotorenkraftwerke ersetzt werden. Diese sollen dann einspringen, wenn die Wind- und Sonnenenergie zuwenig Strom liefern. Schon ab 2030 sollen angeblich ausreichend Energiespeicher zur Verfügung stehen, um auch diese Kraftwerke abschalten zu können. Konkret werden die Kohlegegner aber nicht.

Und schon heute steht fast, daß die von den Schröder- und Merkel-Kabinetten verkündeten „Klimaziele“ – bereits 2020 mindestens 40 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als 1990 – illusorisch sind. Erklärtes Ziel der aktuellen Bundesregierung ist es, für das Jahr 2030 ein CO2-Minus von mindestens 55 Prozent zu erreichen.

Nachdem der Ausstieg aus der Kernenergie von Angela Merkel 2011 quasi über Nacht im Alleingang beschlossen worden war und die Union plötzlich vom Befürworter der Stromgewinnung aus Atomkraftwerken zu deren entschiedenstem Gegner geworden war, soll beim von der Kanzlerin ebenfalls beschlossenen Abschied von der Kohleverstromung immerhin zuvor der Rat ausgewählter Experten gehört werden.

 www.kommission-wsb.de

 bmu.de/