© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Auf Krawall gebürstet
Im Jahr 1983 kulminierte nochmals der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA
Jürgen W. Schmidt

Eingeleitet wurde die „Kleine Eiszeit“ in den Ost-West-Beziehungen durch die sowjetische Invasion in Afghanistan Ende 1979. Seitens der USA wurde die die Verwicklung der Sowjetunion in  ein afghanisches „Sovietnam“ natürlich ausgenutzt, um die Rebellen – besonders die islamistisch geprägten Mudschaheddin – zwecks kräftigeren Widerstandes militärisch modern auszurüsten und auszubilden. Die Kurzsichtigkeit jener amerikanischen Bemühungen zeigt sich deutlich im späteren Afghanistan, wo heute die Taliban als Erben dieser „Gotteskrieger“ trotz der westlichen Intervention nach 2001 bereits wieder siebzig Prozent des Landes beherrschen. Als im Januar 1981 der strikt antikommunistische und streng konservative, zugleich sehr agile Ronald Reagan zum US-Präsidenten gewählt wurde, der dieses Amt bis 1989 innehatte, und ihm nach dem Tode des greisen Generalsekretärs Leonid Breschnew im neuen sowjetischen Generalsekretär Juri Andropow ab November 1982 ein ausgesprochener Hardliner gegenüberstand, drohte im Jahr 1983 die weltpolitische Situation zu eskalierten. 

Unter dem Code-Wort „RJAN“, einem russischen Kürzel für „Raketenangriff mit Kernwaffen“ wurde der KGB von der der politischen Führung der Sowjetunion beauftragt, angestrengt nach einem unmittelbar bevorstehenden US-amerikanischen Kernwaffenangriff auf die Sowjetunion Ausschau zu halten. Reagans aggressive Rhetorik hatte bei der politischen Führung der Sowjet-union, und speziell beim vormaligen KGB-Chef und jetzigen Generalsekretär Andropow, derartige Befürchtungen hervorgerufen. Weil aber der amtierende sowjetische KGB-Resident in London Oberst Oleg Gordijewskij ein britischer Doppelagent war, kamen derartige, sehr ernst gemeinte sowjetische Befürchtungen Präsident Reagan schnell zu Ohren, und er mäßigte sich darauf etwas in seinen Aussagen. 

Abschuß des koreanischen Jumbos durch die Sowjets

Da erregte urplötzlich der sowjetische Abschuß eines koreanischen Passagierjets vom Typ Boeing-747 am 1. September 1983 mit 269 Menschen an Bord die Weltöffentlichkeit. Unter den Toten war auch der antikommunistische US-Kongreßabgeordnete Larry McDonald. Der südkoreanische Jet mit Flugnummer KAL 007 war auf dem Flug von New York nach Seoul nach einer Zwischenlandung in Anchorage in Alaska weit vom Kurs abgekommen und hatte mit der Halbinsel Kamtschatka und der Insel Sachalin sowjetisches Hoheitsgebiet überflogen. 

Die sowjetische Luftverteidigung sprach das Passagierflugzeug, welches entfernt einem amerikanischen Aufklärungsflugzeug vom Typ RC-135 glich, als feindseligen Luftraumverletzter an. Jagdflugzeuge verfolgten es und gaben Warnschüsse aus Bordkanonen ab, welche indessen mangels Leuchtspur von den Piloten nicht bemerkt wurden. Befehlsgemäß wurde nun das Flugzeug mit Luft-Luft-Raketen abgeschossen und stürzte nahe Sachalin in internationale Gewässer. In der Sowjetunion versuchte man zuerst zu mauern und gab folglich den Abschuß anfangs nicht zu. 

Doch die US-Amerikaner präsentierten umfassendes nachrichtendienstliches Material, darunter den Sprechfunkverkehr der sowjetischen Piloten. Als der sowjetische Generalstabschef Marschall Nikolai Ogarkow daraufhin in der internationalen Pressekonferenz die Vorgänge um den Abschuß zu erläutern versuchte und sich mit seinen kaum haltbaren Erklärungen und Abwiegelungen vor den Journalisten öffentlich vorführen ließ, war die Blamage perfekt. Die Sowjets wurden nicht nur in der westlichen Öffentlichkeit als Schurken verurteilt.  Auch US-Präsident Reagan sprach ausdrücklich von „unmenschlicher Brutalität“ und einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. 

Auf Grenada wollten USA „neues Kuba“ verhindern

Reagan begann nun eine antikommunistische Politik, welche an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrigließ. Mit der sognannten „Invasion von Grenada“ wurde am 25. Oktober 1983 die Gefahr eines „neuen Kuba“ in der Karibik beseitigt. Grenada war zwar Teil des britischen Commonwealth, und das harte amerikanische Vorgehen stieß folglich auf den heftigen Protest der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Doch die USA argumentierten damit, daß die kleine grenadische Armee Waffen sowjetischer Herkunft besaß und sich einige hundert kubanische Bauarbeiter auf der Insel befanden, welche man wegen ihres Besitzes an Handfeuerwaffen als kubanische Militärs interpretierte. 

Typisch für die damalige US-Politik war, daß man nach dem Sturz der linken Regierung Grenadas unter Maurice Bishop seitens der CIA dem US-Außenministerium sogleich die Liste der neuen grenadischen Regierung präsentierte. Im Pentagon war man entsetzt und meinte: „Das hier sind einige der übelsten Typen der Karibik. Man darf sie nicht einmal in die Nähe der Insel lassen.“ Doch viele dieser Drogenhändler und Gauner standen auf der Soldliste der CIA und waren vorher deren beste Informanten gewesen. 

Zur Krise des Jahres 1983 trug zusätzlich bei, daß sich 1982 insgeheim der hohe CIA-Beamte Aldrich H. Ames und später auch der FBI-Beamte Robert Hanssen dem KGB als Agenten anboten. Beide Insider enttarnten eine zweistellige Anzahl US-amerikanischer Agenten in sowjetischen Regierungsinstitutionen und in den sowjetischen Geheimdiensten KGB und GRU, darunter den „Helden der Sowjetunion“ KGB-Oberst Aleksej Kulak (JF 39/15) und den GRU-Generalmajor Dmitri Poljakow. 

Die sowjetische politische Führung fühlte sich 1983 angesichts einer derart hohen Anzahl an enttarnten „Verrätern“ in den eigenen Reihen völlig verunsichert, während die US-Geheimdienste in einem wichtigen Moment fast alle Innenquellen in der Sowjetunion einbüßten. Entschärfend wirkte in dieser angespannten Stimmungslage schließlich der krankheitsbedingte Tod von Generalsekretär Andropow im Februar 1984. Wie spannungsgeladen die Atmosphäre war, dokumentierte nicht zuletzt der auf Wunsch der Sowjetunion erfolgte Boykott aller sozialistischen Staaten – mit Ausnahme von Rumänien, Jugoslawien und China – der Olympischen Sommerspiele in Los Angeles im gleichen Jahr, die nicht nur eine Replik des vorherigen westlichen Boykotts der Olympischen Spiele in Moskau 1980 war. 

Erst mit dem Machtantritt von Michail Gorbatschow als neuem KPdSU-Generalsekretär im März 1985 begann sich die verkrampfte Ost-West-Politik im Zeichen von Glasnost und Perestroika wieder zu entschärfen. Der politischen Entspannung folgte eine militärische mit zahlreichen Abrüstungsmaßnahmen und endete schließlich mit dem politischen Zusammenbruch der Sowjetunion. Die kurze, doch intensive Phase der Hochrüstung, die sowohl die UdSSR unter Breschnew und Andropow als auch US-Präsident Reagan während der „kleinen Eiszeit“ anstrengten, hatte vor allem die Wirtschaftskraft der Supermacht Sowjet-union an ihre Grenzen geführt.