© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Eigentum ist das Fundament der Demokratie
Profunde Beiträger warnen in einem Sammelband vor Auswüchsen der heutigen Umverteilungsgesellschaft
Michael von Prollius

Der Ökonom Alexander Rüstow, bekannt als Schöpfer des Begriffs „Neoliberalismus“, kam 1950 zur folgenden bedeutungsschweren Einschätzung: „Das individuelle Privateigentum, bei gerechter und allgemeiner Verteilung, bildet das einzige uns bekannte einigermaßen sichere und feste Fundament für Freiheit, Unabhängigkeit und Menschenwürde jedes Einzelnen.“ Rüstows Urteil teilten auch die übrigen Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard bis Wilhelm Röpke. 

Heute ist die Privateigentumspolitik zu einer staatlichen Umverteilungspolitik degeneriert. Eine Umfrage des Allensbach-Instituts zeigt: Lediglich 41 Prozent der Befragten sind überzeugt, daß nur Eigentum dazu imstande ist, persönliche Sicherheit und Unabhängigkeit zu gewährleisten. Die schlimmsten Befürchtungen unserer Gründerväter haben Gestalt angenommen: Die staatliche „Ökonomokratie“ hat eine Bevölkerung von „Sozialrentnern“ geschaffen. Wer sein Schicksal und Leben dem Staat überantwortet, verliert das Gefühl für Wert und Würde der Persönlichkeit und wird unsicher. Davon war Ludwig Erhard überzeugt.

Die Stiftung Familienunternehmen versucht der Erosion des Fundaments unserer Demokratie entgegenzutreten. Der außerordentlich vielseitige, bei Herder erschienene Band „Eigentum. Warum wir es brauchen. Was es bewirkt. Wo es gefährdet ist“ bietet eine Fülle von Perspektiven auf das Eigentum, seine Formen, Veränderungen und Voraussetzungen, die mit Eigentum verbundenen Herausforderungen und Verpflichtungen, die vielen bekannten Gefährdungen und einige alte wie neue Alternativen, von der Allmende bis zur Share Economy. 

Das Buch beginnt mit der im Grunde erschreckenden, ein wenig schöngeredeten Umfrage. Lediglich 42 Prozent der Befragten verstehen offenbar noch, daß Eigentum sowohl dem Wohl des Einzelnen als auch dem der Gemeinschaft dient. Dazu paßt der erste Satz des Buches: „Eigentum wird heute vielfach mit Verteilungsfragen verbunden.“ Wo bleiben da Unabhängigkeit und Menschenwürde? würde Alexander Rüstow fragen. 

Eigentum wird heute oft mit Verteilungsfragen verbunden

Das Buch ist klug konzipiert. Alle 15 Kapitel nach der Auswertung der Meinungsumfrage sind zweigeteilt. Einem konzisen, informativen Überblickstext folgt ein thematisch passendes Interview mit einem Wissenschaftler. Die Experten stammen primär aus den Wirtschaftswissenschaften, aber auch Philosophie, Geschichte und Neuroökonomie. Der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchof gehört ebenso dazu wie Hans-Werner Sinn und Carl Christian von Weizsäcker sowie der Historiker Harold James. Der Epilog enthält zehn Thesen. Sie folgen dem Tenor, daß Eigentum einen unverzichtbaren Baustein für wirtschaftlichen Erfolg bildet und stecken die Aufgabe ab, die westlichen Wirtschaftsordnungen wieder besser zu gestalten und den gesellschaftspolitischen Umgang wieder in konstruktivere Bahnen zu lenken. 

Für das Ziel, eine Debatte anzustoßen, wurde wissenschaftlich und allgemeinverständlich gut gearbeitet. Das über 330 Seiten umfassende Kompendium erschließt und liest sich schnell. Die Herausforderung dürfte darin bestehen, Diskussionen dort anzustoßen, wo die etablierte Schar der Wissenden und Wohlmeinenden aufhört. Dazu werden innovative Ansätze in den sozialen Medien einschließlich einprägsamer Videos erforderlich sein. 

Vieles ist so grundlegend, daß es in die Schulen gehört. Zur Bedeutung von Eigentum für eine Marktwirtschaft heißt es eingangs: „Privates Eigentum ist neben der freien Preisbildung die wohl wichtigste konstituierende Voraussetzung für eine moderne Marktwirtschaft.“ Das sollte in viel mehr Köpfen in der Schule abrufbar sein, vor allem in Lehrerköpfen. Als Unterrichtsstoff sei das Kapitel „Zwischen Voraussetzung und Gefährdung“ empfohlen. 

Ergänzen ließe sich wiederholt die weit über die Wirtschaft hinausreichende Bedeutung von Eigentum, das Ausdruck persönlicher Freiheit und Voraussetzung einer freien Gesellschaft ist. Paul Kirchhof weist auf das Grundprinzip hin: Eigentum ermögliche die individuelle Entfaltung und setze Leistungsanreize. Wer über das Wort Familienunternehmer nachdenkt, erkennt zudem die darin enthaltene Pflege von Eigentum sogar über Generationen hinweg. 

Das Ausmaß der staatlichen Verstöße gegen das Privateigentum kommt strukturell zu kurz. Dem sprichwörtlichen Mops, der den Wurstschatz bewachen soll, wird zu viel wohlmeinende Gestaltungsabsicht beigemessen. Sozialismus und Bürokratismus, Rekordsteuereinnahmen und vernachlässigte Infrastruktur, aber auch die Eurokrise weisen auf Sonderinteressen verfolgende Politiker und Staatsdiener hin. Hans-Werner Sinn erläutert das mit einem Hinweis auf Konrad Adenauer. Der habe privaten Häuserbau befürwortet als Schutz gegen sozialistische Experimente. „Denn wenn wenig Eigentum da ist, neigt man dazu, seine Probleme durch Umverteilung zu lösen, also indem man es anderen wegnimmt.“ Und er fährt fort: „Wenn man das privat tut, kommt man in den Knast. Wenn man es kollektiv tut, beispielsweise durch die Wahl entsprechender Parteien (...), ist es zwar legal, aber in seinen Konsequenzen katastrophal.“ 

Eigentum erfordert mündige Bürger. Privateigentumspolitik soll Politik überflüssig machen. Um beides zu erreichen, ist allerdings mehr als ein Buch erforderlich. 

Stiftung Familien-unternehmen (Hrsg.): Eigentum: Warum wir es brauchen. Was es bewirkt. Wo es gefährdet ist. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2018, gebunden, 336 Seiten, Abbildungen, 26 Euro