© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Geringe Kostenvorteile, erhebliche Risiken
Der Valsartan-Skandal und das Ausloten der Grenzen der globalen Arzneimittelüberwachung
Jörg Schierholz

Außer bei Autos, frischen Lebensmitteln oder Erdölprodukten kommen die Deutschen an Produkten „Made in China“ kaum noch vorbei. Elektronik, Bekleidung und Küchengeräte von teuren Marken stammen in der Regel längst aus dem Reich der Mitte. Selbst der vermeintlich amerikanische Alaska-Seelachs wird oft von russischen Trawlern im Nordpazifik gefangen, tiefgefroren, in China zur Verarbeitung wieder aufgetaut und dann erneut gefrostet nach Europa verschifft.

Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) vom vergangen Jahr stört dies nur elf Prozent der hiesigen Verbraucher. 70 Prozent stünden dem China-Kauf sogar positiv gegenüber – und je jünger, desto offener seien die Konsumenten. Nur bei Kinderspielzeug, Möbeln oder Autos überwiege die Skepsis, so die DGQ. Daß selbst „italienische“ Tomatensoße zunehmend aus China stammt und mit billigen chinesischen Zusatzstoffen wie Soja, Malzzucker, Stärke und Farbstoffen gestreckt wird, ist seit diesem Jahr medial bekannt – eine EU-Kennzeichnungspflicht wie bei Fisch oder Milch gibt es allerdings nicht.

All das kommt der offiziellen Pekinger „China 2025“-Strategie gut zupaß: In zehn Schlüsselindustrien soll bis dahin die Weltmarktführerschaft erreicht werden – koste es, was es wolle (JF 11/18). Auch die chinesische Pharma-Branche ist längst auf dem Sprung nach vorn – aber hier wird es wirklich heikel: Alleine in Deutschland könnten bis zu 900.000 Patienten das Blutdruckmittel Valsartan eingenommen haben, welches mit einer potentiell krebserregenden Substanz namens N-Nitrosodimethylamin (NDMA) verunreinigt war.

Die Verunreinigungen wurden im Juli in Chargen des chinesischen Pharmakonzern Zhejiang Huahai Pharmaceuticals entdeckt, der den Valsartan-Wirkstoff herstellt, welcher früher von der Schweizer Novartis entwickelt wurde. Insgesamt sind dieses Jahr weltweit zehn Milliarden Pillen hergestellt worden, die mit dieser Substanz kontaminiert sein könnten. Der Vertrieb wurde weltweit eingestellt und die Produkte zurückgerufen.

Das Problem soll es sogar schon seit 2012 geben, als Huahai die Herstellung veränderte. Nachfolgende Inspektionen der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und chinesischen Gesundheitsbehörde SFDA erkannten den Mißstand nicht. Am 17. August hat nun das Europäische Direktorat für Arzneimittelqualität (EDQM) in Straßburg auch dem kleineren Wirkstoffhersteller Zhejiang Tianyu Pharamceuticals vorsorglich das „Certificate of suitability“ (CEP) und damit die Herstellungserlaubnis für den Wirkstoff Valsartan entzogen, teilte das Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit.

Auf Wirkstoffe aus China und Indien angewiesen

In Deutschland habe sich aber nur eine einzige Tianyu-Charge Valsartan (VZM18001-23B/HCT Aurobindo 320/25 mg) im Verkehr befunden. Der Rückruf dieser Charge sei von der Regionalregierung Oberbayerns angestoßen worden, die das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit mit einer Analyse von Aurobindo beauftragt hatte. Auch bei der indischen Hetero Drugs sind NDMA-Verunreinigungen entdeckt worden.

Ironischerweise erklärte kürzlich der chinesische Hersteller Huahai in einem Dokument für die Shanghai Stock Exchange, daß man aus ökologischen Gründen den Produktionsprozeß ändern mußte – was dann zu dieser Verunreinigung führt habe. Die FDA-Direktorin Janet Woodcock meinte, daß man bei den Inspektionen diese NDMA-Kontamination deshalb nicht finden konnte, weil man sie nicht aktiv gesucht hätte. Ein ähnliches Dementi kam später von der EMA: Das Problem sei die komplexe Thematik. In Zeiten, in denen Wirkstoff-Synthesen oft patentumgehend und kostengünstig – und nicht unbedingt sicher – sein müßten, erfordere es im Einzelfall erhebliche Sachkenntnis, um mögliche Verunreinigungen zu entdecken. Die EMA beschwichtigte nun, daß möglicherweise ein zusätzlicher Krebsfall bei 5.000 Patienten, die dieses Herzmittel mit der höchsten Dosierung mindestens sieben Jahre einnehmen mußten, auftreten könne. Ein akutes Gesundheitsrisiko gebe es daher nicht.

Mehr als 50 Arzneimittelhersteller, darunter Teva Pharmaceutical Industries, Ranbaxy Laboratories oder Sandoz, vertreiben weltweit Valsartan – aber immer mit der einen Grundsubstanz, welche von den ins Visier geratenen chinesischen oder indischen Herstellern geliefert wird. Der Skandal stellt zum wiederholten Male Hersteller aus China und Indien, die inzwischen mehr als zwei Drittel der globalen Wirkstoffe herstellen, ins Rampenlicht.

Schon 2007 verkauften indische und chinesische Fabriken den vergifteten Blutverdünner Heparin, der Hunderte von Patienten das Leben kostete. Im Juli wurde bekannt, daß chinesische Behörden die Produktion eines Tollwut-Impfstoffs durch den Pharmakonzern Changchun Changsheng Biotechnology gestoppt haben. Bei einer Inspektion seien gefälschte Daten aufgefallen. 15 Verantwortliche seien festgenommen worden, unter ihnen die Konzernchefin.

Die Abhängigkeit der westlichen Welt von den Wirkstoffherstellern aus Asien samt deren Intransparenz ist eine Folge der rücksichtlos durchgezogenen Globalisierung: Zum Erzielen geringer Kostenvorteile werden erhebliche Risiken in Kauf genommen. Aus Umwelt- und Kostengründen ist die sichere Wirkstoffherstellung dieser Arzneimittel in Deutschland – der ehemaligen Apotheke der Welt – offenbar nicht mehr lohnend.





Deutsche Arzneimittelüberwachung

Obwohl Arzeimittel global produziert und gehandelt werden, gibt es neben der EU-Arzneimittelaufsicht EMA weiterhin zwei deutsche Behörden: das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen bei Frankfurt/Main. Das BfArM ist 1994 aus dem Institut für Arzneimittel entstanden und sollte unter Gerhard Schröder wie analog die Bundesanstalt für Arbeit in eine Arzneimittel-Agentur (Dama) umgewandelt werden. Die Neuwahl 2005 und ein Veto der CSU 2007 verhinderten dies schließlich. Mediziner hatten Bedenken geäußert, weil der Dama-Bereich „Zulassung“ künftig durch Gebühren der Arzneimittelhersteller finanziert werden sollte. Das 1896 in Steglitz bei Berlin gegründete PEI ist heute vor allem zuständig für die Erforschung, Zulassung, die vom Hersteller unabhängige staatliche experimentelle Chargenprüfung und -freigabe sowie die Tests von Impfstoffen und anderen biomedizinischen Arzneimitteln. (fis)

 www.bfarm.de

 www.pei.de