© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Flauschige Grüße
Mehrere Unternehmen bieten Reisen für Kuscheltiere an
Verena Rosenkranz

Wenn jemand eine Reise tut“, so sagt es der Volksmund, „dann hat er etwas zu erzählen.“ Außer dieser Jemand ist ein Stofftier. Dann werden wenn lediglich stillschweigend die äußerlichen Spuren von besagtem Ausflug erzählen. Zwar ist es nichts Ungewöhnliches, daß viele Kinder ihre Kuscheltiere mit auf die Bahnfahrt zur Oma oder in das Flugzeug zum Urlaubsort nehmen – daß die Reise aber nur für die kuschligen Freunde gemacht wird, ist schon eher eine Kuriosität. 

Dabei sind es keineswegs nur Kinder, die mit unvorstellbarer Phantasie eine ganz eigene Welt für ihre Seelentröster schaffen, sondern in vielen Fällen Erwachsene, die zu ihren besten Freunden aus Kindheitstagen ein ganz spezielles Verhältnis haben und sie am liebsten zum Leben erwecken würden. Als Selbstverständlichkeit sehen die in ihre Stofftiere vernarrten Besitzer beispielsweise eigene Ausstattungen wie Kinderwägen oder schicke Kleider. Reisen nur für Kuscheltiere stellen einen neuen kostspieligen Höhepunkt in der Beziehung zu den wattierten Begleitern dar.

Für rund 70 Euro bietet etwa das japanische Unternehmen Unagi-Travel extra Ausflüge quer durch Tokio nur für die Kuschelpartner an. Inkludiert ist dabei der Flug im Paket aus Europa oder den USA, diverse Fotos in den sozialen Medien – und ein mehrere Wochen dauernder Aufenthalt im Reisebüro. Denn von dort aus werden all jene Lieblinge mit einem Gewicht unter 300 Gramm zu verschiedenen Stadtexkursionen mitgenommen. Bahntickets sind im Preis mit inbegriffen, genauso wie die nicht wirklich verzehrte Nahrung. So können die Besitzer Tausende Kilometer entfernt jeden Tag auf einem Internetkanal ihre Stofftiere beim Suppe- oder Sushiessen beobachten. Sollte es trotz höchster versprochener Sorgfalt doch mal zu einem Mißgeschick kommen und der kunstbehaarte Freund „nimmt Reißaus“, dann erstattet das Unternehmen einen Betrag bis zu 100 Euro. Die Kunden kämen aus aller Welt, wissen die Inhaber der gleichnamigen Internetseite zu berichten, der Großteil der Buchungen entfalle aber auf Japaner. 

Nach dem gleichen Prinzip verfährt der Kuscheltier-Reiseveranstalter Teddy Tour in Berlin. Für „gestresste“ Plüschbegleiter gibt es ein einwöchiges Rundum-sorglos-Paket, inklusive Stadtrundfahrt durch die Hauptstadt, Picknick im Tiergarten und Betreuung durch eine ausgebildete Physiotherapeutin sowie Fotoalbum und Grüße per Postkarte. Andere Anbieter wie kuscheltierreisen.de nehmen einfach die fremden Lieblinge mit in den Urlaub und versorgen die daheim Gebliebenen mit Schnappschüssen. 

Für einen Trip wird extra Kleidung genäht

Am beliebtesten sind die Reisen aber im Land der aufgehenden Sonne. Das liegt daran, daß viele Japaner an den Shintoismus glauben, nach dem jedem Ding eine Seele innewohne. So lieben viele kinderlose Paare im Land ihr Stofftier, als sei es der eigene Nachwuchs, und schicken es auf Erlebnistouren. Dazu werden sie mit Sonnenhut, Schwimmweste und nicht selten mit extra für den Trip genähten Kleidern ausgestattet. „Als ob meine eigenen Kinder verreist sind, so fühle ich mich. Ich würde zwar selbst auch gerne losfahren, aber ich bin zufrieden damit, wenn mein Stofftier unterwegs ist und mir dann von seinen Erlebnissen berichtet“, schwärmt eine glückliche Kundin.

Weniger glücklich dürften in Japan etliche Alleinstehende sein, und darin sahen Geschäftsleute in der Hauptstadt ihre Chance. Dort müssen Singles beispielsweise in manchen Lokalen nicht alleine essen und sich der schmerzlichen Einsamkeit bewußt werden, sondern können sich ein Stofftier als Tischnachbar zum Menü dazubestellen. Ebenso werden die Plüschtiere auch in Pflegeheimen eingesetzt, wo sie älteren Menschen Gesellschaft leisten und aufmuntern sollen.

Ein traurigeres Spektakel ist da schon die letzte Reise des geliebten Kuschelhasen, der Schmusekatze oder des Teddys. Zwar kann wohl niemand so genau sagen, wann denn nun das letzte Stündlein im Fall eines braunen Stoffbären geschlagen hat, doch wenn es soweit ist, dann bekommt das unechte Tierchen einen glamourösen Liegeplatz auf dem Friedhof der Kuscheltiere. 

Ob es nun der schmerzliche Verlust eines Textilbeines ist, das Ausfallen eines Knopfohres oder ein zerkratztes Plastikauge – den Todeszeitpunkt und die Abschiedszeremonie legt einzig der Besitzer fest. In einigen Städten wie Wien oder Köln gibt es eigene Flächen für die geliebten Begleiter, an denen ihnen ein Grabstein errichtet werden kann und die „Hinterbliebenen“ trauern können. 

Japan ist aber auch hier Vorbild. Seit 400 Jahren werden Puppen und sonstige unechte Freunde im Chofu-Kujuji-Tempel in der Nähe von Tokio liebevoll bestattet, samt persönlich gestalteter Abschiedszeremonie. Wem das zu nahe geht und einfach nicht ohne Hase, Bär und Co kann, nimmt das geliebte Kuscheltier eben wieder mit. In diesem großen skurrilen Spiel ist Auferstehung von den Toten möglich.