© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„Alles belegt“
Jörg Kürschner

Der Unterschied zwischen Autor und Laudator könnte kaum größer sein. Hier Thilo Sarrazin, distinguiert, die Grenze zur Arroganz streifend, in einem edlen, die  Figur betonenden Maßanzug gekleidet, neben ihm Heinz Buschkowsky, Berliner Schnauze, hemdsärmlig, korpulent, auf Äußerlichkeiten offenbar wenig Wert legend. Personenschützer und Polizeibeamte müssen aufgeboten werden, um einen reibungslosen Ablauf der Buchvorstellung vis-à-vis dem Bundestag zu garantieren. Doch die beiden Männer, am Anfang des achten Lebensjahrzehnts stehend, verbindet auch einiges. Ihre Sorge, der Islam könne langfristig zur Mehrheitsreligion in Deutschland werden. Und ihr Parteibuch. Sarrazin und Buschkowsky sind 1973 in die SPD eingetreten, zu Willy Brandts besten Zeiten. 

„Vor ihnen stehen 90 Jahre SPD“, leitet also der Kulturjournalist Alexander Kissler die Pressevorstellung ein. „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“, heißt die neue Streitschrift Sarrazins (JF 36/18). Belustigt resümierte der Autor, die SPD-Spitze fordere seinen Parteiausschluß, ohne das Buch gelesen zu haben. „Ein unmöglicher Vorgang“, pflichtete ihm Buschkowsky bei, der ehemalige Bürgermeister von Berlin-Neukölln. Das sehen viele der etwa 100 Hauptstadtjournalisten, die Buschkowsky spöttisch als „professionelle Demokratieversteher“ bezeichnet, offenbar anders. Eine Tonlage zu aggressiv scheint Sarrazin manche Frage zu empfinden. „Die Dame hat Nachholbedarf an Fakten“, kontert er ungerührt. 

An Fakten orientiert sich der Erfolgsautor, dokumentiert durch knapp 800 Fußnoten. „Alles belegt.“ Er doziert wie auf einem Seminar, erläutert Statistiken und verlangt eine politische Diskussion über den Islam. Wo Sarrazin die fehlende Gleichberechtigung der Frauen in islamischen Familien penibel nachweist, formuliert Buschkowsky robuster. „Mit oder ohne Schniedel“ dürfe keinen Unterschied machen. Der Vermutung des „lieben Thilo“, hinter der hohen Geburtenrate der Muslime stehe die Absicht, die Mehrheitsgesellschaft zu überwinden, widerspricht „der liebe Heinz“ deutlich. Andererseits meint er, die Wirklichkeit in den Städten sei „zum Teil schlimmer“ als von Sarrazin beschrieben.

Der Journalisten-Vorwurf, er stärke die Argumentation der Rechtsextremen,  ficht den Erfolgsautor nicht an. Er werde seine Analyse nicht zurücknehmen, da die „Pappnasen mit Hakenkreuzen“ nicht über die Grenzen der Meinungsfreiheit bestimmen dürften, stellt er emotionslos klar.

Die Buchvorstellung war kaum beendet, da erschienen erste Rezensionen online. „Ein skrupelloser Vereinfacher“, „Haarsträubendes zum Islam“, oder „Einheizer der neuen Rechten“, lauteten die Überschriften. Als zu Wochenbeginn die ersten Verkaufszahlen bekannt wurden, hieß es: „Geisterfahrer auf Überholspur“. Und Sarrazins SPD? Die beauftragte Gesine Schwan, Vorsitzende der Grundwertekommission, und die einstige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, die Chancen eines erneuten Ausschlußverfahrens gegen Sarrazin zu prüfen.