© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Pankraz,
die Medien und die Ohnmacht der Bilder

Ein Bild der Agentur Associated Press, „das bedauerlicherweise auch bei FAZ.Net Verwendung fand“, so las man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, „zeigt Demonstranten in Chemnitz, die ein Transparent halten. Auf dem Bild sieht man nur das Wort ‘Terror’ auf dem Plakat, das ein schwarzgekleideter Mann festhält. Was man nicht sieht, ist das vollständige Plakat mit der Aussage ‘Kein Zutritt für Terror!’ Was damit gemeint ist, kann man sich denken. Aber es ist etwas anderes als nur die Vokabel ‘Terror!’“

So verschwurbelt „selbstkritisch“ also kommentierte die „bürgerliche Qualitätspresse“ die Vorgänge bei den Protestdemonstrationen gegen die tödlichen Messerattacken  migrantischer Asylbewerber auf  deutsche Stadtfestbesucher in Chemnitz. Das Bild von Associated Press  war indessen völlig eindeutig. Es zeigte einfach das, was wirklich passierte: Chemnitzer Bürger demonstrierten gegen die zunehmenden Messerstechereien von Zuwanderern und drückten das auch auf einem Plakat unmißverständlich aus. Es waren schlichte Bilder von realen Ereignissen.

Für viele Medien aber gibt es schon seit längerem keine schlichten Bilder von Realereignissen mehr. Jedes Bild, auch das schlichteste, drückt angeblich etwas aus, was es gerade nicht zeigt, was „hinter“ ihm steht und extra „erklärt“ werden muß. Und wenn gewisse Details auf ihm nicht zu dem passen, was der Erkärer „erklären“ will, wird es von diesem eben geändert, retuschiert, weggeschnitten. Die Bildverfälschung im Interesse seiner angeblich notwendigen „Erklärung“ ist zum bevorzugten Betätigungsfeld moderner Medialität geworden, vor allem in der Politik.


Los ging es seinerzeit in der damaligen Sowjetunion, nachdem Stalin seine Macht befestigt hatte und nun die Geschichte der „Revolution“ von 1917 weitgehend umschreiben ließ. Das schlichte Wort, die Erzählungen eingeschüchterter Historiker oder die Gemälde beflissener Maler, so erkannte er, genügten dafür nicht, er brauchte „Authentizität“, und die vermochte allein das zu seiner Zeit noch neue Medium der Fotografie und des dokumentarischen Films zu liefern. Also schritt er dazu, sich dieses Mediums voll zu bedienen und so gründlich wie möglich zu verfälschen. 

Ältere Fotos und Filme erschienen alsbald, aus denen führende Genossen, die sich um den Revolutionsführer Lenin scharten und die später von Stalin verfemt und umgebracht wurden, Trotzki, Kamenew, Sinowjew, mit größter Sorfalt herausretuschiert, teilweise durch Stalin ersetzt waren. Wer dagegen zu protestieren wagte, wurde als Konterrevolutionär  gebrandmarkt und erschossen. Von manchen Linken im Westen wurde derlei Praxis eifrig schöngeredet; sie verwiesen auf Hollywood, wo ja die Praxis des „Schneidens“ ebenfalls unabwendbar zur Herstellung von Authentizität dazugehöre.

Von der Stalinschen Praxis des „Schneidens“ zur gegenwärtigen Praxis des Schneidens bei ARD, ZDF und offiziösen Printmedien verläuft in der Tat  eine ziemlich gerade Linie. Hier wie dort ging beziehungsweise geht es um Machtbeweis und Machtbewahrung. Das Bild von Associated Press über die Chemnitzer Demo wurde keineswegs aus Raum- oder Zeitgründen zusammengeschnitten, sondern eindeutig in der Absicht, die Demonstranten gegen die Messerattacke nach dem Stadtfest nicht recht haben zu lassen, sie stattdessen als „Nazi-Mob“ und „braunes Gesindel“ hinzustellen.

Wie schrieb die FAZ so drollig harmlos? „Was damit“ (nämlich mit der Reduzierung der AP-Bilder auf das bloße Wort „Terror“) „gemeint ist, kann man sich denken.“ Aber mit dem Denken ist das so eine Sache. Wohl selbst dem harmlosesten Gemüt außerhalb der Medienbüros ist doch von vornherein klar, worum es wirklich ging. Die Absicht der kürzenden „Erklärer“ bestand darin, von dem Messermord abzulenken und den dagegen protestierenden Plakatträger als Nazi erscheinen zu lassen und darüber hinaus auch noch jeden Bildbetrachter, der anders „dachte“, als potentiellen Nazi hinzustellen.


Die Affäre ist skandalös, doch man nimmt den Skandal um sie herum kaum noch wahr; so alltäglich ist dergleichen mittlerweile geworden. Was der Medienkonsument zur Zeit erlebt, ist die offenkundig werdende Ohnmacht der Bilder im Medienbetrieb. Zwar ist dort äußerlich alles auf Verbildlichung, Bildwiedergabe abgestellt; scheinbar ist das Bild dabei, den Text, das Wort regelrecht zu ersetzen, wie Instagram, der von Facebook betriebene Online-Dienst vorspiegelt. In Wirklichkeit geschieht das Gegenteil. Das televisionäre Bild ist zum bloßen Spielball der Texter, Erklärer und Vorspiegler geworden.

Es kann sich von sich aus nicht wehren, und niemand springt ihm bei. Man erinnere sich an frühere Zeiten, bedenke etwa, wie damals politische Arrangements und überhaupt Herrschafstformen zunächst einmal glanzvoll ins Bild gesetzt wurden, bevor sie zum Funktionieren freigegeben wurden. Heute sieht man nur noch, wie wichtige Entscheidungsträger in hermetisch gegen die Öffentlichkeit abgeschottete Sprechräume hineinspazieren oder wieder herauskommen. Eine Meute von Pressefotografen stürzt sich auf sie, aber die Bilder, die dabei gemacht werden, sind nichts wert.

Anders verhält es sich mit den Bildern von Demonstrationen wie jetzt in Chemnitz. In denen ist tatsächlich noch etwas von der alten Macht der Bilder lebendig, sie enthalten eventuell Sprengstoff, will sagen: Gefahren für die Machtpositionen der Etablierten, und folglich müssen sie von denen schärfstens kontrolliert und im Bedarfsfall ausgesondert, gekürzt oder in ihrem Sinn verändert werden. Das Volk durchschaut diese Praktiken zunehmend, besonders wenn es – wie die ehemaligen DDR-Bewohner – einschlägige Erinnerungen parat hat. Und es will sie sich nicht länger gefallen lassen.

Eine interessante Koalition bahnt sich an: Das Volk und das unverfälschte Bild, das zeigt, was wirklich ist, verbünden sich. Diesem Bündnis wird auf Dauer nicht zu widerstehen sein.