© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Eine sexualisierte Karriere
Abweichen als Beruf: Der Dokumentarfilm „Mr. Gay Syria“ von Ayse Toprak hat mehr als ein Dutzend Preise auf Festivals abgeräumt
Sebastian Hennig

Die Regisseurin preist ihren Film wörtlich als einen Teil ihres Kampfes für eine bessere Welt. Sie betreibt jene als Kunst verpackte Öffentlichkeitsarbeit, von der der Kunstkritiker Hanno Rauterberg unlängst feststellte, daß sie Zustimmung nicht darum erntet, „weil ihr Werk so bezwingend und so evident gut wäre, sondern weil sie als Menschen bestimmte Kriterien erfüllen“. Schon der Titel des Films flattert ihm als Fahne voran. Die Ausgangslage ist überschaubar. In Istanbul gestrandete schwule Syrer treffen sich regelmäßig in einer Beratungsstelle. Einer von ihnen soll zum Wettwerb „Mr. Gay World“ sein Heimatland und zugleich die arabische Gemeinschaft vertreten.

Als Dokumentarfilm ist „Mr. Gay Syria“ nicht besonders erhellend. Denn es wird darin mehr verschleiert als aufgedeckt. Selbst diese Verhüllung ist nicht sonderlich sorgfältig. Sie ergibt sich einfach aus dem Habitus. Denn hinter der Hervorkehrung einer besonderen Lebensweise verschwindet die stille Wirklichkeit des Lebens selbst. Darin ist der Film den seifigen Bildschirmserien ähnlich, in denen sich problematische Existenzen nach Drehbuch vor den Zuschauern stückweise bloßstellen.

Ein Jahr lang hat Toprak ihre Protagonisten in Berlin und Istanbul dabei gefilmt, wie sie sich selbst in Szene setzen. Herausgekommen ist eine gegenseitige Verstärkung zweier auf Aufmerksamkeit setzender Bezugsgruppen, des Filmgeschäfts und der Aktivisten einer politisierten Schwulenszene. Mahmoud Hassino reist als hauptberuflicher Lobbyist der LGBT-Szene aus Berlin an, um unter seinen in Istanbul lebenden Landsleuten einen nationalen Botschafter für eine Art männliche Miss-Wahl auf Malta zu küren. 

Die Anwärter auf die Repräsentanz der syrischen LGBT-Community werden von ihm verhört. Die Tatsache, daß alle unter Druck stehen, prägt das Verfahren und hinterläßt einen unangenehmen Nachgeschmack. Homosexualität ist seit 2011 ein anerkannter Asylgrund in der EU. Für den verführerischsten der Tänzer und Darsteller vereinfacht sich somit die Ansiedlung im Schengen-Raum. Einer möchte am liebsten über Deutschland gleich nach Norwegen weiterreisen, wohin sein Lebenspartner ihm vorausgegangen ist.

Die Höllenhunde der Scharia nicht wecken

Doch der Sieger des Vorentscheids nimmt diese Kurve nicht. Husein arbeitet in Instanbul als Friseur. Er kommt vom Land und ist ganz begeistert von seiner neuen Clique: „Ich bin 23. In diesen zwei Jahren habe ich so viel gelernt.“ Der Preis könnte zugleich ein Anreiz sein, eine beiläufige Neigung zur Hauptsache der eigenen Biographie zu stilisieren. Auf die Frage, welche Sorge er mit einer möglichen Exponierung als „Mr. Gay Syria“ verbinde, erwähnt Husein, daß er darüber vielleicht seine Familie verlieren könnte, aber bereit wäre, das hinzunehmen. Der Triumph der sexualisierten Karriere bleibt dann mangels Visum aus. Die Familie verliert er dennoch.

Kurzweilig wird es dort, wo die jungen Kerle mit ihrem feminisierten Gehabe sich vor der Kamera produzieren. Als Varieté und Travestie ist das durchaus gelungen. Doch zugleich verfällt das vorgeblich so anrührende Schicksal dieser theatralischen Stilisierung. Die Gefühle gehen bei soviel Affektiertheit unter, und vor lauter gespielter Traurigkeit ist eine echte Trauer nicht anzumerken. Zuweilen wirkt es wie jene TV-Konkurrenzen, in denen eine arrogante Jury die hemmungslose Selbstdarstellung skurriler Kandidaten bewertet.

Naturgemäß finden sich seit je gerade im Milieu der darstellenden Künste viele Menschen, die solch ein Liebeslieben führen. Das ist berufsspezifisch, wie die Staublunge bei Steinbildhauern. Das „keep smiling“ und die gespielte Kumpanei gehören in der Branche zum Geschäft, egal wie es einem geht. Die Vorauswahl aus der kleinen Komparsentruppe der syrischen Kandidaten erfolgt im überschaubaren Kreis von dreißig Personen in Instanbul. Publikum wird nicht geladen, weil man die schlafenden Höllenhunde der Scharia nicht wecken möchte. Der blonde Fotograf Bradley Secker umschleicht die traurigen Jungs wie ein Vampir. Auf einem Hochhaus in Istanbul macht er Porträts von ihnen. Von solchen Gebäuden haben islamistische Banditen überführte Homosexuelle in den Tod gestürzt.

Wie immer bei solchen Diskriminierungen arbeiten die Verfolger und die Protektoren Hand in Hand. Beide sind sie Treiber und Jäger zugleich und entreißen ihre Opfer der gesunden Normalität eines Zusammenlebens, das immer auch Abweichungen zuläßt, ohne sie zu benennen. Wirkliche Solidarität wird jemand wie Husein noch am sichersten von den Dorfbewohnern zuteil, die über ihnen absonderlich erscheinendes Verhalten einfach hinwegsehen.

Wo das Privateste keinen etwas angeht, feiert der Film die Selbstverwirklichung um jeden Preis. Ihr postuliertes Ziel besteht darin, „einem Leben in Unsichtbarkeit zu entfliehen.“ Dabei ist das Höchste, was sich erreichen läßt, Diskretion und Gewährung.