© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Im Jahr der Ängste
Christian Vollradt

Mittlerweile ist es schon Routine. Einmal im Jahr sendet Manfred Schmidt vom Haus der Bundespressekonferenz aus seine „Warnsignale in Richtung Politik“ – in der Hoffnung, sie werden am anderen Ufer der Spree, im Reichstag und im Bundeskanzleramt beherzigt oder wenigstens wahrgenommen. Der Heidelberger Politologe stellte vergangene Woche die aktuelle Studie „Die Ängste der Deutschen“ vor, die aus einer Umfrage im Auftrag der R&V-Versicherung erhoben und ausgewertet wurden. Daß das Thema Flüchtlinge oder Einwanderung dabei eine große Rolle spielen, dürfte kaum überraschen. 63 Prozent der Befragten befürchten, daß der anhaltende Zuzug von Flüchtlingen die Deutschen beziehungsweise die Behörden hierzulande überfordern könnte. Das bedeutet einen Zuwachs von sechs Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr; nur im Jahr 2016 rangierte diese Angst noch höher (66 Prozent). Ebenfalls 63 Prozent haben Angst davor, daß der Zuzug von Ausländern zu wachsenden Spannungen zwischen ihnen und den Einheimischen führt. 

Übertroffen werden diese beiden Sorgen nur von einer: der Angst vor Donald Trump. Daß die Politik des US-Präsidenten die Welt gefährlicher mache, meinen 69 Prozent der Befragten. In seinen Ausführungen präzisiert Schmidt dies etwas. Für den hohen Wert mitverantwortlich sei eine negative Voreinstellung der Deutschen gegenüber Trump, die sich bereits während des amerikanischen Wahlkampfs gezeigte habe. Nun nähme man zum einen die verbalen Attacken aus dem Weißen Haus auf Europa, den Freihandel, gegen Nato-Partner und vor allem aber gegen die deutsche Exportwirtschaft als bedrohlich wahr. Hinzu komme, daß die Deutschen der eigenen Politik nicht recht zutrauen, auf den neuen Wind aus Washington eine angemessene Antwort zu finden. Ziehe sich Amerika etwa mehr und mehr aus dem transatlantischen Bündnis zurück, gerate die nichtverteidigungsfähige Bundesrepublik in eine schwierige Lage, davon ist laut Politikwissenschaftler Schmidt die Mehrheit überzeugt. Kein Wunder, daß sie auch ihren Politikern überwiegend schlechte Noten geben. 48 Prozent bewerten die politische Elite mit „mangelhaft“ oder „ungenügend“.   

Schmidt konstatiert eine schwindende Bindekraft der „noch großen Parteien“. Zudem habe die „schon nicht mehr so große Koalition“ keine Mehrheit im Bundesrat für einen strikteren Kurs in der Asylpolitik. Daher sei er persönlich äußerst skeptisch, daß die Asylkrise schnell gelöst wird. Mit sorgenvoller Miene spricht der Professor der Universität Heidelberg von einem „epochalen Bruch“. In der Politik sei zwar „nichts unmöglich, aber sehr vieles unwahrscheinlich.“ Ob er die Migration auch wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) als die „Mutter aller Probleme“ bezeichnen würde, wird Schmidt gefragt. Das Diktum sei wohl etwas überzogen, meint der Forscher. Aber: Das Thema habe „enorme Auswirkungen“, nicht zuletzt auf das Wahlverhalten. 2018 sei, so sein Resümee, das Jahr der politischen Ängste.