© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Kein Heimspiel für Jens Spahn
Hitzige Debatte: Rund 200 Konservative folgen der Einladung des Publizisten Klaus Kelle zur „Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“
Harald Melzer

Kulturwissenschaftlerin, homosexueller Bundesminister, katholische Konservative und Social Media – wer denkt, das passe nicht zusammen, der irrt. Den Beweis dafür lieferte der Publizist und Medienunternehmer Klaus Kelle am vergangenen Wochenende. Mehr als 200 Gäste aus dem breiten konservativen Spektrum sind zu seiner „3. Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“ nach Paderborn gereist. 

Als Höhepunkt des Tages steht eine Rede von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf dem Programm. Der gilt manchen Merkel-kritischen Unionsanhängern als Hoffnungsträger. Andere halten ihn durch den Ministerposten für gezähmt und verzeihen ihm weder seine Stimme für die „Ehe für alle“ noch seinen Vorstoß in Sachen Organspende.

Den Reigen der Referenten eröffnet allerdings Kirstine Fratz. Die Kulturwissenschaftlerin erklärt in ihrem Vortrag, warum Konservative heute eine Avantgarde darstellen. Sie macht deutlich, daß Erwachsensein und Konsequenzen bedenken konservativ sei. Fratz meint, der Zeitgeist wolle das Leben verbessern und die Trendforschung habe erkannt, daß konservative Werte Halt geben. Eine Botschaft, der das Publikum kräftig applaudiert. 

Anders beim Vortrag von Jens Spahn. Er macht den politischen Rundumschlag: von Religionskritik, die früher links war und heute beim Islam als rechts gilt, über Konservatismus, den er als „lebenskluge Politik aus der Realität“ versteht, bis zur markigen Erklärung, er wünsche sich mehr „Familymainstreaming statt Gendermainstreaming“. Dann wird Spahn konkreter. Er erläutert seinen Vorschlag zur Organspende und wirbt für eine ehrliche Debatte. Beim Thema Flüchtlingsproblematik horchen die Zuhörer auf. Als er erzählt, daß die Regierung bereits 2013 schnellere Asylverfahren beschlossen habe, aber dies im Bundesrat durch die Grünen blockiert werde, erntet er noch Beifall. 

Der schlägt in Widerspruch und Buhrufe um, als Spahn Schlägereien unter jungen alkoholisierten Männern beim Volksfest mit Migranten-Kriminalität gleichsetzt. Da habe es schon immer unangenehme Situationen gegeben – egal ob die Männer Deutsche oder Syrer seien. Trotz erhitzter Stimmung ist Spahn Profi genug und bricht nicht ab. Er geht in den Saal hinein, auf die Menschen zu und führt weiter aus, daß die kulturelle Prägung natürlich auch eine Rolle spiele. Doch so schnell beruhigen sich die Gemüter nicht. Konservative sind mit der Union unzufrieden. Das machen sowohl die Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Werte-Union, Simone Baum, als auch der Publizist Martin Lohmann deutlich, der nach 41 Jahren aus der CDU ausgetreten ist. 

Einen Kontrapunkt setzte am Ende des Tages Patrick Minar von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Er versuchte zu erklären, warum die Volkspartei in Wien wieder den Kanzler stellt. Zum einen habe sie die Themen aufgenommen, die die Menschen bewegen, zum anderen kümmere sie nicht die Kritik derjenigen, die sie eh nicht wählten. Natürlich sei der Erfolg der ÖVP maßgeblich mit der Person Sebastian Kurz zu erklären. Seine Partei habe im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. So sei es gelungen, Leute zu mobilisieren, die sich nicht an eine Partei binden wollten.