© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Die Wohlfühlzone verlassen
Frankreich: „Links blinken und rechts abbiegen“ – Präsident Macrons politischer Kurs kommt beim Wahlvolk nicht mehr an
Friedrich-Thorsten Müller

Als sich in Marseille Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Merkel am vergangenen Freitag  zu einem Arbeitsgespräch trafen, endete dies wie das Fußballänderspiel am Vorabend mit einem „Remis“. Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den Macron und Angela Merkel sich verständigen konnten, war ein trotziges Bekenntnis, in Europa zu den „progressiven Kräften“ zu gehören und „Einwanderung als Chance“ zu begreifen. 

Wie zum Hohn ging diese Botschaft aber in beiden Ländern schon am Wochenende durch jeweils von Afghanen verübte mutmaßliche Kapitalverbrechen in Paris und Köthen mit insgesamt einem Toten und sieben zum Teil Schwerverletzten unter. 

Restriktive Ausländerpolitik  erzürnt die Linken 

Bereits vor Ende des Treffens äußerten französische Kommentatoren, wie Ulysse Gosset vom TV-Sender Business FM, daß ohne ein „deutsch-fränzösisches Aufbäumen“ gegen die ost- und westeuropäischen EU-Skeptiker der anstehende Europawahlkampf schwierig werden dürfte. 

Macrons République en marche (REM) werden mitunter in Umfragen nur noch etwa 20 Prozent der Stimmen zugetraut, mit teilweise noch einem Prozent Vorsprung vor dem Rassemblement National (Ex-Front National) als zweitstärkster Kraft. Es wird ein glaubhaftes europäisches Projekt brauchen, um Macron gegen die vielen Europaskeptiker im Land in die Offensive zu bringen. Dafür sind jedoch zum Beispiel in Sachen europäischer Investitionshaushalt und Bankensicherung insbesondere deutsche Zugeständnisse erforderlich, die im Moment von einer unter Druck stehenden Kanzlerin Merkel nicht zu erwarten sind.

Aber nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch innenpolitisch verläßt  Macron zum Ende des ersten Drittels seiner Amtszeit als Präsident langsam die Wohlfühlzone. Trotz sinkender Arbeitslosenquote, einem moderaten Wirtschaftswachstum von geschätzt 1,7 Prozent in 2018 und einer staatlichen Neuverschuldung unterhalb der Maastricht-Obergrenze von drei Prozent sinkt seine Beliebtheit kontinuierlich. 

 Im August waren laut einer Umfrage des Ifop-Instituts (für das Journal du dimanche) 66 Prozent der Franzosen mit seiner Amtsführung unzufrieden. Zum Vergleich: Im Juni 2017 waren noch 64 Prozent der Bürger mit Macrons Präsidentschaft einverstanden. Dabei hat Macron weder das Pech seines Vorgängers Françoise Hollande, mit einem schlechten konjunkturellen Umfeld leben zu müssen, noch macht ihm die Opposition besonders zu schaffen. Der FN-Nachfolger Rassemblement National kämpft um das finanzielle Überleben, seit sich die Anzeichen verdichten, daß der Europäische Gerichtshof ihn zu möglicherweise sieben Millionen Euro Schadensersatz (Zweckentfremdung parlamentarischer Mitarbeiter) verurteilen könnte (JF 31/18). 

Aber auch die bisher etablierten Parteien haben sich vom Durchmarsch der Mitte-Links-Bewegung La République en marche bei den Wahlen 2017 noch nicht wieder erholt: Die einst tonangebenden konservativen „Republikaner“ und die Sozialisten – die französischen „Altparteien“ – kommen zusammen in den Umfragen für die Europawahlen kaum noch über 20 Prozent.

Warum also die schlechte Stimmung? Schließlich liefert Macron die Blaupause für eine „Politik der Mitte“, die den Anspruch hat, „nicht rechts, nicht links, sondern progressiv“ zu sein, in Wahrheit aber mit „links blinken und rechts abbiegen“ umschrieben werden könnte. 

Seine Ausländerpolitik ist restriktiv – auch wenn sie zwei Drittel der Franzosen immer noch für zu lax halten, was einen Teil der Unzufriedenheit erklärt. Die Zahl der Asylanträge ist dank rigider Grenzkontrollen 2017 kaum über 100.000 gestiegen. Zum 1. August wurde auch ein neues Asyl- und Einwanderungsgesetz verabschiedet, das die Bestimmungen über die Rückführung von Flüchtlingen verschärft und die Abschiebehaft deutlich verlängert. 

Die stets loyale Parteibasis läßt Macron gewähren  

Aber die freundlichen Gesten in Richtung des linken Parteienspektrums, mit denen er Einwanderer ostentativ zur „Bereicherung für den Arbeitsmarkt“ erklärt oder spektakulär Asylbewerber und illegale Einwanderer von NGO-Schiffen wie der „Aquarius“ oder der „Lifeline“ aufnimmt, kommen nicht bei jedem Franzosen gut an. 

Gleiches gilt für die enormen – teils neoliberalen – Umwälzungen im Arbeits- und Steuerrecht: Die populäre Abschaffung der Wohnsteuer wird zum Beispiel durch die Erhöhung des Allgemeinen Sozialbeitrags (CSG) erkauft. Eine Änderung, die gerade unter Rentnern Verlierer mit sich bringt. Auch der Abbau von Beamtenstellen und die Lockerung des Arbeitsrechts sorgen bei vielen Arbeitnehmern für mehr Unsicherheit, ohne daß sich damit die Beschäftigungslage schnell merklich verbessern würde. Schließlich suchen jedes Jahr in Frankreich netto 250.000 Jugendliche und Einwanderer mehr einen Arbeitsplatz, als durch Pensionierung und Auswanderung frei werden. Die Zahl derer, die arbeitslos sind oder wider Willen nur einen Teilzeitjob haben, ist mit etwa 4,9 Millionen weiterhin fast doppelt so hoch wie 2009. 

Auch das ökologische Wählerspektrum ist unzufrieden mit der Macronschen Realpolitik: Ebenfalls im August hat der wohl schillerndste Minister seiner Regierung, der Ökologe Nicolas Hulot, seinen Rücktritt angekündigt. Ihm ist klargeworden, daß der Präsident zwar gerne mit auf Trump anspielenden Sätzen wie „let’s make our planet great again“ kokettiert, in der Praxis aber lieber die Laufzeit von Schrott-Atomkraftwerken auf 60 Jahre verlängert, als das Land mit Windrädern zuzubauen. Denn in Zeiten, in denen Zeitungen wie Le Figaro vermelden, daß 27 Prozent der Franosen sich kein frisches Obst und Gemüse leisten können, steht nachvollziehbar vor allem die Kaufkraft im Fokus des Bürgers und damit der Politik. Da ist billiger Atomstrom ein unverzichtbarer Erfolgsfaktor.

Macron ist auch dank einer von ihm geschaffenen und ihm zu Loyalität verpflichteten Regierungspartei (REM) bisher wohl der tatkräftigste und handlungsfähigste Präsident der Fünften Republik. Doch auch er kann nicht „über Wasser laufen“ und es bleibt fraglich, ob die von ihm angeschobenen schmerzlichen Reformen Frankreich gegenüber aufstrebenden Schwellenländern wie China wirklich wieder wettbewerbsfähig machen können. Mit seinem hohen Veränderungstempo riskiert er darüber hinaus, den Bürger nicht „mitzunehmen“. Ein nicht unbeträchtliches Risiko bleibt daher, daß der Präsident, wie die Welt auch in Paris viel beachtet orakelte, mit seinem „eigenen Feuerwerk verglühen“ könnte.