© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Corporate Identity statt Leitkultur
Literatur: Alexander Schimmelbuschs Roman „Hochdeutschland“ ist die verunglückte Antwort auf Michel Houellebecqs „Unterwerfung“
Felix Dirsch

Die Übernahme von Sujets, die von Kollegen erfolgreich verwendet werden, mißlingt häufig, wenn sie von weniger talentierten Autoren versucht wird. Alexander Schimmelbusch ist dabei keine Ausnahme. Wenn der Bundeskanzler Ali Osman heißt, muß man nicht lange nachdenken, woher die Anregung kommt. Michel Houellebecq läßt grüßen.

Ein Moslem, der sich früher bei den Grünen (wo sonst?) engagiert hat, übernimmt mit seiner neu gegründeten populistischen Gruppierung „Deutschland AG“ die Macht. Der Name ist natürlich Vorzeichen. Der Staat soll laut Parteiprogramm auf wettbewerbsfähig-ökonomischen Grundsätzen basieren, das Gemeinwesen also praktisch in ein Unternehmen verwandelt werden. Doch der Verfasser ist so klug, die üblichen Liberalismus-Sprechblasen zu hinterfragen. So muten die Anspielungen auf die neoliberale Ideologie eher wie eine Parodie als ein ernsthaftes Nachdenken über deren Auswirkungen an. Nähere Konturen von Kampagnen und politischen Zielsetzungen dieser Bewegung fehlen jedoch. Es bleibt bei Andeutungen, etwa zur Migrationsthematik, und bei vielen Hinweisen, daß Geldscheffeln doch nicht das A und O allen Strebens sein muß.

Wirtschaftseliten bilden das Schattenkabinett

Am Anfang der Erzählung wird dem Leser allerdings ein anderes Panorama präsentiert. Der Romanautor, der eine Zeitlang selbst als Investmentbanker gearbeitet hat, blickt tief in ein Milieu, das ihm bestens vertraut ist. Protagonist ist der Enddreißiger Victor, der in der Birken-Bank so viel verdient hat, daß er sich nun der Muße widmen kann. Sonderlich zufrieden wirkt der berufliche Siegertyp freilich nicht.

Das ist durchaus realistisch geschildert, dürfte es doch nur für die wenigsten erfolgreichen Manager eine Herausforderung bedeuten, sich primär auf jedes zweite Wochenende zu freuen, das er mit seiner Tochter aus einer gescheiterten Beziehung verbringen darf. Die (oft überlangen) Dialoge mit Victoria – und nicht nur diese – ermüden eher. Ansonsten plätschert Victors Leben mehr dahin, als daß er aktiv an einem erfüllten Dasein arbeitet. Einigen Raum nehmen die Schilderungen von Affären ein. Sie sollen ihm den nötigen Kick verschaffen – ein weithin vergebliches Unterfangen. Auch der von ihm verfaßte Roman schafft keine Abhilfe. Die deutsche Seele im Spätkapitalismus befindet sich im Sinne Spenglers eher in einer Endzeit als im Aufbruch – jedenfalls, wenn man den Zustand von Victors biographischem Stadium als Indiz nimmt: Jedoch tut sich just in dem Moment, als die Öde immer mehr die Oberhand zu gewinnen scheint, ein vermeintlich rettender Horizont auf. Dem reichen Frührentner hilft der Zufall bei der Suche nach Lebenssinn.

Victor trifft seinen alten Studienkumpel Osman wieder, Sohn eines türkischen Aufsteigers, der ein Exempel gelungener Einwanderung darstellt. Beide studierten an der namhaften London School of Economics. Nun verbinden sich die omnipräsenten wirtschaftlichen Vorstellungen mehr und mehr mit politischen Gestaltungswünschen. Etliche Projekte entspringen der Phantasie der sich wechselseitig inspirierenden Freunde.

Osman hat bereits politische Erfahrung gesammelt, will aber neue Wege beschreiten. Ein wenig konterkariert wird seine Kompetenz durch die jugendsprachlichen Phrasen, die er von sich gibt. Es wird viel spintisiert. So spukt eine staatliche Fondsgesellschaft im Kopf Victors herum, die den Namen German Investment Authority („GINA“) erhält. Sie soll Deutschland den Status einer finanziellen Supermacht verleihen. Ein planwirtschaftliches Herumwursteln, wie es beispielsweise bei der sogenannten Energiewende weithin geschieht, könne auf diese Weise, so die Hoffnung, vermieden werden. Natürlich sind es wirtschaftliche Funktionseliten, die das Schattenkabinett bilden.

Am Ende ein Szenario 15 Jahre später: Osman hat es geschafft, „Mutti“ als Regierungschef zu beerben. Das Ziel seiner Träume ist erreicht. Er gewinnt die Mehrheit trotz seiner muslimischen Herkunft. Nirgendwo steht der Rassismusvorwurf gegen jene im Raum, die sich diesem Ansinnen entgegenstellten. Victors Leben neigt sich mittlerweile seinem Ende zu. Vor seinem Tod kann er Bilanz ziehen: Immerhin ist er zwölf Jahre der „Große Vorsitzende“ – man beachte die Ironie! – der German Investment Authority gewesen. Da ist der Abgang spürbar leichter!

Mehr Handlung hätte dem Roman sicherlich gutgetan. Die politisch-programmatischen Aussagen sind insgesamt zuwenig ausgefeilt. Das kulturelle Element, der islamische Hintergrund Osmans, tritt hinter die Dominanz des Ökonomischen fast vollständig zurück. Wohl kein adäquater Umgang mit der geistigen Großwetterlage in Zeiten des Kampfes der Kulturen. Ein deutscher Houellebecq ist noch nicht gefunden.

Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland. Roman. Tropen-Verlag, Stuttgart 2018, gebunden, 214 Seiten, 20 Euro