© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Vier Stunden kostenlos hassen
Nachgefragt: Beim Konzert gegen Rechts in Chemnitz provozierten linke Bands mit skandalösen Texten / Unterstützer wiegeln ab
Martina Meckelein / Mathias Pellack

Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder … Na, wenn sich der Dichter Johann Gottfried Seume da mal nicht geirrt hat.

Unter dem Motto: „Wir sind mehr“, traten sieben Musikgruppen am 3. September in Chemnitz auf einer Bühne auf. Zu sehen gab es von 17 bis 21 Uhr in die Jahre gekommene Ex-Punker wie Die Toten Hosen um Frontmann Campino und adipöse Antifas wie den Sänger der linksextremen Band Feine Sahne Fischfilet.

Gegen „Haß und Rassismus“ wollten sie aufspielen. Vom Bundespräsidenten bis zu Coca-Cola waren alle ganz begeistert. Freie Anfahrt, freie Karten, freie Drinks – so geht ein „Zeichen gegen Rechts“. Aus dem ganzen Bundesgebiet karrten unter anderem die Mitfahrzentrale BlaBlaCar und Flixbus die 65.000 mutigen Kämpfer gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nach Chemnitz auf einen Parkplatz an der Johanneskirche an.

Vielleicht haben die vielfältigen Unterstützer, Sponsoren und die begeisterte Presse sich vorab niemals mit den Texten der auftretenden Berliner Hip-Hopper-Band K.I.Z. und ihren Mordphantasien gegenüber Journalisten auseinandergesetzt? Vielleicht haben die jubelnden weiblichen Zuhörer in Chemnitz unter ihren wiederkehrenden „Alerta, Alerta, Antifaschista“-Parolen nicht ganz genau verstanden, was die Herren von K.I.Z. dort oben eigentlich an geballtem Frauenhaß so von sich gaben? Reinhören hilft.

„Ich ramm die Messerklinge in die Journalistenfresse / Bullen hör’n mein Handy ab (spricht er jetzt von Koks) / Ich habe fünfzig Wörter für Schnee, wie Eskimos / Trete deiner Frau in den Bauch, fresse die Fehlgeburt (…)

Eva Herman sieht mich, denkt sich: Was’n Deutscher / Und ich gebe ihr von hinten wie ein Staffelläufer / Ich fick sie grün und blau, wie mein kunterbuntes Haus / Nich alles was man oben reinsteckt, kommt unten wieder raus (…)

Ich rasiere mein Äffchen und lass es anschaffen / Tret so lange auf dein Kopf bis vier und drei acht machen (…) Ich trag die Nike Shox mit eingenähter Kinderhand / In der Schule hatte ich eine Eins im Tiere quäl’n“

Und in einem Lied der Punkband Feine Sahne Fischfilet (JF 16/18), die zeitweise im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommerns wegen „linksextremistischer Bestrebungen“ erwähnt wurde, heißt es: „Es geht los, es geht los heute Nacht / Lieber ekelhaft, statt Einzelhaft / Wir sind zurück in unsrer Stadt/ Mit zwei Promille durch die Nachbarschaft / Wir sind zurück in unsrer Stadt / Und scheißen vor eure Burschenschaft (…) Wir haben Bock auf Streß und ’ne Menge Haß“

Die JUNGE FREIHEIT fragte nach. Und zwar bei den Unterstützern des Konzerts: „Hätten Sie das Konzert ebenfalls beworben und lobend erwähnt, wenn Sie vorab gewußt hätten, was dort gesungen wird?“

Flixbus-Mitbegründer Daniel Kraus, seine Firma hatte wie die Mitfahrzentrale BlaBlaCar vielen den Konzertbesuch durch Freifahrten und Tankgutscheine ermöglicht, antwortete via Twitter: „Nein die Texte waren mir nicht bekannt und ich bin grundsätzlich gegen jede Art von Gewalt – egal ob linke oder rechte. Ein friedliches Miteinander und lösungsorientierte Diskussionen sind immer das Beste.“ Der stellvertretende Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Martin Dulig (SPD) – er hatte sich mehrfach positiv und lobend zum Konzert geäußert und war ausweislich seines Twitter-Accounts dort anwesend – ließ uns über einen Mitarbeiter ausrichten: „Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT äußert sich Martin Dulig nicht.“

Auch die Linken-Politikerin Katja Kipping wollte sich gegenüber dieser Zeitung nicht äußern. Dabei nahm sie selbst an der Demo teil. Ihr Bundestagsbüro erklärte telefonisch darauf, daß man nicht für Frau Kippings privates  Engagement zuständig sei.

„Mit Deutschland geht es steil bergab“

Das Bundespräsidialamt erhielt von uns ebenfalls einen Fragenkatalog. Unter anderem wollten wir wissen, was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von diesen menschenverachtenden und frauenfeindlichen Texten hält und ob ihm die Texte der Bands vorab bekannt waren. Eine Sprecherin des Bundespräsidenten antwortete: „In Chemnitz haben sich am vergangenen Montag 65.000 Menschen friedlich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus versammelt. Dieses Anliegen zu unterstützen, darum ging es dem Bundespräsidenten.“

Friedlich und tolerant, so will auch Coca-Cola Deutschland sein Engagement in Chemnitz verstanden wissen. Sie hatten für die Veranstaltung der Stadt Freigetränke zur Verfügung gestellt. Auf unsere Anfrage teilte das Unternehmen mit: „Die Organisatoren wollten mit „WirSindMehr“ vielen Menschen in Chemnitz eine Plattform geben, um ein Zeichen für Toleranz und ein friedliches Miteinander und gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu setzen. Dies haben wir unterstützt. Wir sind uns sicher, daß die Mehrheit der Menschen, nicht nur in Chemnitz, bei aller Kontroverse ein friedliches Miteinander möchten. In dieser Mitte ist auch unser Platz. Deshalb bedeutet unsere Unterstützung zugleich eine Stellungnahme gegen Radikalisierung und Vereinnahmung von jeder Seite.“

Kritisch sieht das Konzert die ehemalige „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman. Ihre Stellungnahme gegenüber dieser Zeitung lautet: „Zu den Inhalten dieser dunklen Texte nehme ich keine Stellung. Wohl aber möchte ich mein Befremden äußern darüber, daß sowohl öffentlich-rechtliche Anstalten und Systemmedien als auch bundesdeutsche Spitzenpolitiker, an erster Stelle Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dieses Konzert im Vorfeld beworben haben. Leider findet man auch im Nachklang nur wenig Kritik der Genannten an diesen derben Ausfällen. Mit Deutschland geht es steil bergab.“

Auf unsere Anfrage meldete sich Arte. Die Leiterin der Presseabteilung, Claude-Anne Savin, stellte klar, daß das Konzert in Chemnitz weder von dem Sender veranstaltet noch produziert wurde und daß Arte keinen Einfluß auf die teilnehmenden Bands oder die Inhalte der Musik hatte. Savin: „Auf vielfachen Wunsch auch unserer internationalen Partner haben wir das Live-Signal der Veranstaltung wie andere Publikationen auch auf unsere Onlineplattform Arte-Concert übernommen, um es als allgemeines Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu dokumentieren. So ist es auch ganz überwiegend wahrgenommen worden. Weder das Line-up noch irgendwelche Inhalte waren mit uns abgesprochen, insbesondere nicht einzelne Passagen von RAP-Texten, die, wörtlich verstanden, häufig als reine Provokation erscheinen.“ 

Spenden gehen zur Hälfte an die Familie des Opfers

Und wem ist denn nun überhaupt das Konzertereignis zu verdanken? „Auf die Idee kam die Gruppe Kraftklub“, sagt Thomas Resch von der Agentur „Landstreicher Booking“ aus Berlin. Die Agentur arbeitet unter anderem mit Kraftklub zusammen, einer fünfköpfigen Band aus Chemnitz. Sie steht für Punk und Sprechgesang und trat bei dem Konzert ebenfalls auf. „Die sind gut vernetzt und haben dann die anderen herbeitelefoniert. Die Vorbereitungen haben eine Woche gedauert. Wir sind ja nur für die Produktionsinhalte zuständig. Also der Bühnenaufbau und so. In der Größe hat das zweieinhalb Tage gedauert.“

Veranstalter der ganzen Sache wiederum war die CWE, die Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH. Die schrieb in ihrer öffentlichen Stellungnahme: „Die Geschehnisse vom 26. und 27. August 2018 setzen gefühlt alles auf Null! Wir sind schockiert, konsterniert. (...) Die Bilder eines wütenden Mobs, der willkürlich auf Menschen losgeht, machen uns fassungslos, aber nicht sprachlos.“

Während des Konzerts sollten dann auch Spenden für die Familie des getöteten Daniel Hillig gesammelt werden. Dafür war die CWE nicht zuständig. Das taten 15 freiwillige Spendensammlerteams vom brandenburgischen „Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“, die auf dem Konzertgelände sammelten. Für diese Aktion war wiederum die Agentur „check your head“, ebenfalls aus Berlin, zuständig. Für Einzelanfragen der jungen freiheit stehe man nicht zur Verfügung, schrieb ein gewisser Stephan Velten. Aber er nannte die zusammengesammelte Summe: 22.106,41 Euro. Die Summe wird allerdings nur zur Hälfte an die Familie des Opfers ausbezahlt. Die andere Hälfte werde „zu gleichen Teilen an das Bündnis ‘Chemnitz Nazifrei’ sowie an die Opferberatung ‘RAA Sachsen’ gehen“, so Velten.

Leider waren bis Redaktionsschluß weder vom sächsischen Innenministerium noch der Stadtverwaltung Chemnitz, noch von Universal Stellungnahmen zu bekommen.

Auf dem zweiten „Wir sind mehr“-Konzert in Chemnitz am Montag dieser Woche wollten nur etwa 500 Besucher mit der Ex-DDR-Band Die Zöllner ein Zeichen gegen Rechts setzen. Das Netzportal tag24 zitiert zwei Jugendliche, die die geringe Teilnehmerzahl mit Blick auf den Protest gegen Rechts kritisch sehen: „Schade, daß so wenige Leute da sind. Das wirkt dann so, als ob die Massen vor einer Woche nur wegen der Toten Hosen und Kraftklub kamen. Jetzt sind sie wieder weg.“