© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Die Geisterfraktion
Paul Rosen

Wenn man es ganz genau nimmt, existieren im Deutschen Bundestag sieben Fraktionen. Die siebte Fraktion hat aber keine Abgeordneten mehr. Es handelt sich um die FDP-Fraktion in Liquidation, wo die Reste der 2013 an der Fünfprozenthürde gescheiterten und dann aufgelösten liberalen Fraktion verwaltet werden. 

Zwar zog die FDP bei der Wahl 2017 wieder in den Bundestag ein, aber mit der von einigen Liquidatoren wie Otto Fricke verwalteten Rest-Fraktion wollen die neuen Abgeordneten nichts zu tun haben. Auch die Partei zierte sich. Partei und Fraktion seien rechtlich voneinander getrennt, sagte Parteichef Christian Lindner, der auch Vorsitzender der neuen Fraktion ist. 

Daß Partei und neue Fraktion nichts mit der Alt-Fraktion zu tun haben wollen, hat einen guten Grund: Die Alt-Fraktion hat ziemlich hohe Schulden und noch ein paar andere Probleme. So sind für ehemalige Mitarbeiter der Fraktion noch Zahlungen an die Rheinische Zusatzversorgungskasse in Höhe von 5,8 Millionen Euro offen. Die Kasse verwaltet die Betriebsrenten der Fraktionsmitarbeiter (übrigens auch von anderen Fraktionen). Daß das Geld aus noch vorhandenen Vermögensgegenständen der Fraktion zusammenkommt, ist ausgeschlossen. Autos und einige Kunstwerke wurden längst verkauft, und an Rücklagen hatte die FDP-Fraktion gerade noch 1,8 Millionen Euro, als sie 2013 aus dem Bundestag flog. Dafür interessiert die Bundestagsverwaltung, ob es sich mit einem massenhaft versandten Brief der Fraktion vor der Bundestagswahl 2013 nicht um ein Informationsschreiben, sondern um (verbotene) Wahlwerbung gehandelt haben könnte. Sollte es sich um Wahlwerbung gehandelt haben, müßte die Fraktion die Kosten für den Brief an den Bundestag zurückzahlen. Schließlich werden die Fraktionskassen überwiegend mit Steuergeld gefüllt. 

Vermutlich wird die Alt-Fraktion irgendwann mangels Masse endgültig aufgelöst. Das Problem besteht jedoch fort. Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, wies erst kürzlich darauf hin, daß es keine Regeln für das Ausscheiden von Fraktionen aus dem Bundestag gebe: „Damit gibt es niemanden, der auf ein zügiges, ordnungsgemäßes und hinreichend dokumentiertes Liquidationsverfahren achtet und wirksam eingreifen kann, wenn etwas schiefläuft.“ Der Rechnungshof schlägt vor, die Aufsicht auf die Bundestagsverwaltung zu übertragen. Die Gleichbehandlung aller Fraktionen müsse im Liquiditätsfall gewährleistet sein und die Gleichbehandlung aller Gläubiger sichergestellt werden, fordert Scheller. 

Denn früher ins Reich der Phantasie verwiesene Annahmen wie ein Ausscheiden der SPD aus dem Bundestag oder ein Auseinanderbrechen der CDU/CSU sind nicht mehr total unvorstellbar. Auch Scheller hält es für wahrscheinlich, daß es in Zukunft häufiger zu Liquidationen von Bundestagsfraktionen kommen wird. Dann sollten, so seine Forderung, die Altfraktionen binnen 18 Monaten abgewickelt werden und nicht mehr wie Gespenster die Bundestagsflure bevölkern.