© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Kein neues Wirtschaftswunder
Fachkräfte-Diskussion: Nur wenige Dax-Konzerne setzen bei Einstellungen auf die Integration von Flüchtlingen
Björn Harms

Für die Dax-Konzerne verlief das zweite Quartal 2018 eher durchwachsen. Nachdem der Gewinn der 30 Unternehmen im ersten Quartal noch auf ein neues Rekordniveau geklettert war, sank er laut den kürzlich veröffentlichten Zahlen in den Monaten April bis Juni um ganze elf Prozent – von 37,2 auf 33,2 Milliarden Euro.

Trotz der mittelmäßigen Entwicklung stellen die Dax-Konzerne jedoch weiter kräftig ein: Die Zahl der Mitarbeiter stieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um gut 120.000 auf fast 3,9 Millionen weltweit. Doch gestaltet sich die Suche nach geeigneten Bewerbern, gerade bei Ausbildungsplätzen, nach Angaben der Unternehmen immer schwieriger. Bereits seit längerem setzen deshalb viele Dax-Vorstände ihre Hoffnungen auf qualifizierte Flüchtlinge.

Einer der ersten, der das „außergewöhnliche Potential“ von Asylbewerbern für den deutschen Arbeitsmarkt betonte, war Daimler-Chef Dieter Zetsche. „Im besten Fall kann es eine Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder werden“, orakelte er kurz nach Öffnung der deutschen Grenzen im September 2015. „So wie die Millionen von Gastarbeitern in den 50er und 60er Jahren ganz wesentlich zum Aufschwung der Bundesrepublik beigetragen haben.“

Unter dem Motto „Wir zusammen“ koalierten kurz darauf 36 namhafte deutsche Unternehmen – darunter auch neun Dax-Konzerne und die Ralph und Judith Dommermuth Stiftung (United Internet AG)–, um die Integration von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt voranzutreiben. Die passende Medienkampagne lieferte ihnen die Werbeagentur Jung von Matt, bezeichnenderweise verantwortlich für die Werbekampagnen von Kanzlerin Angela Merkel.

Was jedoch hat sich seitdem getan? Die JUNGE FREIHEIT begab sich auf Spurensuche und befragte die 30 deutschen Dax-Unternehmen. Wir wollten wissen: „Wie viele Personen mit einer Rechtsstellung als Flüchtling in Deutschland sind derzeit in Ihrem Konzern festangestellt?“ Eine ähnliche Umfrage hatte vor zwei Jahren bereits die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicht. Die Ergebnisse waren damals ernüchternd. So konnten die Dax-Unternehmen lediglich die Zahl von 54 eingestellten Flüchtlingen vorweisen. Viel getan zu haben scheint sich nur bei einem Unternehmen: Die Deutsche Post AG gibt an, mittlerweile 1.659 Flüchtlinge eingestellt zu haben, vornehmlich als Zusteller. Beim Konsumgüterhersteller Beiersdorf sind es zwei festangestellte Flüchtlinge, ebenso wie beim Pharmakonzern Merck.

Anforderungen an Bewerber sind häufig zu speziell

Die Mehrzahl der Dax-Konzerne aber hat niemanden eingestellt – oder sie geben keine Auskunft, weil die Rechtsstellung als Flüchtling bei Abschluß des Arbeitsvertrags nicht registriert wird. „Wir können keine quantitativen Aussagen darüber treffen, wie viele Flüchtlinge oder Auszubildende mit Flüchtlingshintergrund wir beschäftigen, da Bewerber nicht dazu verpflichtet sind, dies explizit in ihrer Bewerbung anzugeben“, erklärt beispielsweise ein Sprecher von Siemens. Auch andere Dax-Unternehmen wie BASF, Fresenius oder Vonovia erheben diesbezüglich keine Daten.

Unter Betrachtung der Beschäftigungszahl der 30 Unternehmen – allein in Deutschland gibt es rund 1,6 Millionen Mitarbeiter scheinen vorzeigbare Erfolge also in weiter Ferne. Auskunftsfreudiger geben sich einige Betriebe bei der Zahl der auszubildendenden Flüchtlinge. SAP beschäftigt derzeit 37 Azubis, bei der Deutschen Post sind es 43, bei Vonovia 30, bei ThyssenKrupp 150 und bei Beiersdorf ein Azubi.

Die Gründe für die geringen Einstellungsquoten sind vielfältig. So stehen die Unternehmen vor einer Vielzahl von Hindernissen. Nicht jeder Dax-Konzern etwa hat seinen Fokus in Deutschland – Fresenius oder Heidelbergcement beschäftigen ihre Mitarbeiter vor allem im Ausland. Zum anderen fehlt es bei vielen Bewerbern an den nötigen Sprachkenntnissen. Dazu sind bei vielen Unternehmen – wie etwa der Deutschen Bank oder der Lufthansa – neben der Vorlage eines einwandfreien polizeilichen Führungszeugnisses jeweilige Fachkenntnisse zwingend notwendig.

„Auch in der Halbleiterindustrie sind die Anforderungen sehr speziell“, erklärt ein Sprecher der Infineon Technologies AG. „Daher können wir Menschen mit Fluchthintergrund nur punktuell fördern, statt in großer Anzahl.“ Der Pharmariese Bayer sucht derzeit händeringend nach Chemikern, Physikern und Mathematikern – Fächer, die in den Heimatländern vieler Afrikaner häufig nicht einmal in der Schule gelehrt werden. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) errechnete auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA): 59 Prozent der arbeitssuchenden Flüchtlinge haben keinen Schulabschluß. Bei Flüchtlingen aus Somalia, Eritrea und dem Irak sind es mehr als 70 Prozent, bei Afghanen 69 Prozent, bei Syrern 56 Prozent. Ob der angegebene Schulabschluß der restlichen 41 Prozent mit einem deutschen vergleichbar ist, scheint zumindest fragwürdig.

Festzuhalten aber bleibt: Das Wirtschaftswunder durch die seit 2015 stattfindende Zuwanderung ist ausgeblieben. Die nötige Qualifikation für die Ausbildungsberufe sei bei vielen Flüchtlingen eben nicht vorhanden, geben die meisten Sprecher der Dax-Unternehmen im Gespräch mit der JF zu. Um sich anschließend in politischen Allgemeinplätzen zu verfangen. Man engagiere sich sozial, zeige Flüchtlingen Perspektiven auf, biete Praktikumsplätze an, heißt es. Adidas geht da noch einen Schritt weiter: Jedem Mitarbeiter des Herzogenauracher Traditionsunternehmens winken für ehrenamtliche Tätigkeiten in der Flüchtlingsbetreuung ganze drei zusätzliche Urlaubstage.

Integrationsinitiative „Wir zusammen“ der Ralph und Judith Dommermuth Stiftung: www.wir-zusammen.de





11.000 Flüchtlinge in Handwerkslehre

Während sich Konzerne bei der Einstellung von Asylzuwanderern eher zurückhaltend äußern, geht das deutsche Handwerk in die Offensive: „Unter den Auszubildenden im Handwerk befinden sich aktuell über 11.000 Personen mit Flüchtlingshintergrund“, teilte der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) mit. Das sind drei Prozent der derzeit 360.000 Lehrlinge in Deutschland. Insgesamt beschäftigen die rund eine Million Handwerksbetriebe 5,4 Millionen Mitarbeiter. „Flüchtlingen zu ermöglichen, am Arbeitsleben teilzuhaben, ist der beste Weg zur Integration. Ein Beruf im Handwerk bietet ihnen eine Zukunftsperspektive und hilft gleichzeitig, den Fachkräftemangel in Deutschland zu mildern“, erklärte ZDH-Chef Hans Peter Wollseifer. Fast die Hälfte aller Flüchtlinge, die eine Ausbildung machen, sei im Handwerk tätig. Einen generellen „Spurwechsel“, wie von SPD, FDP, Grünen und Arbeitgeberverbänden gefordert, lehne der ZDH aber ab, „um keine neuen Mißbrauchsmöglichkeiten zu eröffnen“.

Imagekampagne des ZDH:  handwerk.de