© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Auf dem Weg in die Diktatur
Pressefreiheit in der Türkei: Mit der „Cumhuriyet“ wird die letzte kritische Zeitung gleichgeschaltet
Ronald Berthold

Auf Platz 157 ist die Türkei in Sachen Pressefreiheit inzwischen abgerutscht – sogar Venezuela liegt 14 Ränge davor. Aber das Ranking der „Journalisten ohne Grenzen“ vom April dürfte nur einen vorläufigen Tiefpunkt markieren. Denn inzwischen hat das Erdogan-Regime auch die bislang letzte unabhängige Zeitung, die Cumhuriyet, unter seine Kontrolle gebracht.

Eigentlich galt es als unmöglich, das linke Blatt auf Kurs des Präsidenten zu zwingen, der Ende September nach Deutschland kommen wird. Denn die Cumhuriyet wird seit 94 Jahren von einer Stiftung herausgegeben, und eine Stiftung kann selbst in der Türkei nicht so leicht enteignet werden. Doch die erdogantreuen Mitglieder erzwangen vor Gericht eine Neuwahl des Vorstandes, und diese Abstimmung verlor das bisherige Präsidium. Wie es dazu kommen konnte, ist unklar. Auf jeden Fall gilt der Machtwechsel als große Überraschung.

Nun ist die Zeitung zwar nicht in die Hand von Islamisten, aber von Nationalisten gefallen. Und diese unterstützen ebenfalls den allmächtigen Präsidenten. Recep Tayyip Erdogan hatte schon vorher durch eine Verhaftungswelle versucht, die Redaktion zu schwächen. Zahlreiche Cumhuriyet-Reporter landeten vor Gericht und wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Begründung: Terrorunterstützung.

Unter diesem Vorwand hat das Erdo gan-Regime auch zahlreiche andere Medien mundtot gemacht. Seit dem angeblichen Putschversuch von 2016 wurden rund 150 Zeitungshäuser, Online-Portale und Rundfunksender geschlossen. Ebenso viele Journalisten sitzen inzwischen im Gefängnis. 

Medien von Freunden des Präsidenten gekauft

Die Cumhuriyet traf es besonders stark. Nachdem das Blatt enthüllt hatte, daß der türkische Geheimdienst islamistische Truppen in Syrien mit Waffen beliefere, wanderte Chefredakteur Can Dündar noch vor dem Putsch und dem Ausnahmezustand für drei Monate ins Gefängnis. Nach seiner vorläufigen Freilassung ging er ins Exil nach Berlin, wo er bis heute lebt. 

Die investigative Recherche hätte in anderen Ländern wahrscheinlich zu Journalisten-Preisen geführt. In Istanbul war ein Anschlag die Folge: Als Dündar vor dem Gerichtsgebäude auf das Urteil wartete, schoß ihm ein Attentäter mehrfach vor die Füße. Der Journalist blieb unverletzt, verstand das aber nicht ohne Grund als letzte Warnung – zumal der Schütze nach nur fünf Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Von einer so kurzen Strafe können die meisten angeklagten Journalisten nur träumen. 

Anschließend wurde auch Dündars Nachfolger Murat Sabuncu verhaftet. Er und zehn weitere Redakteure kamen ohne Prozeß für anderthalb Jahre in Untersuchungshaft. Inzwischen wurden sie zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Für die Gerichtsreporterin der Zeitung, Canan Coskun, reichte vor zwei Monaten der Vorwurf, „mit dem Kampf gegen den Terror beauftragte Personen zur Zielscheibe gemacht“ zu haben, um sie zu zwei Jahren und drei Monaten Haft zu verurteilen. Ausgerechnet das Stiftungsmitglied, das in den Prozessen gegen seine eigenen Angestellten aussagte und zur Verurteilung entscheidend beitrug, ist nun neuer Vorsitzender der Cumhuriyet-Stiftung: Alev Coskun. Daß mit der Machtübernahme des 83jährigen endgültig der erdogankritische Kurs zu Ende geht, ist den Redakteuren klar. 25 von ihnen reichten ihre Kündigung ein, als bekannt wurde, daß der bisherige Stiftungsvorstand gestürzt wurde. Selbst wenn unabhängiger Journalismus noch gewollt und erlaubt wäre, dürfte er bei diesem Aderlaß unmöglich sein.

Der vermeintliche bevorstehende Kurswechsel der Zeitung paßt sich in die Medienstrategie Erdogans perfekt ein. Kritische Stimmen duldet er nicht. Zuletzt hatte es den mit einem renommierten Namen ausgestatteten Sender „CNN Türk“ getroffen. Der Nachrichtensender wurde an die Demirören Holding eines Freundes Erdogans verkauft. Das gleiche Schicksal ereilte die bisher kemalistische Zeitung Hürriyet (JF 14/18). Beide Medien waren bis dahin zumindest noch nicht vollends gleichgeschaltet. Hin und wieder veröffentlichten sie objektive Berichte, ließen Systemkritiker und Dissidenten zu Wort kommen. Bereits 2011 hatte Demirören die auflagenstarken Tageszeitungen Milliyet und Vatan von der erdogankritischen Dogan-Gruppe erworben und auf Regierungskurs getrimmt.

Besonders hart traf es mehr als 30 Journalisten, die für die Zeitung des inzwischen mit Erdogan verfeindeten islamistischen Predigers Fethullah Gülen, Zaman, arbeiteten. Sie erhielten Haftstrafen von zum Teil mehr als zehn Jahren. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Die Zeitung wurde inzwischen verboten. Gülen lebt seit fast 20 Jahren im Exil in den USA. Ein Auslieferungsbegehren Erdogans hat die Trump-Regierung abgelehnt.

Auch ausländische Pressevertreter geraten immer wieder ins Visier. Zuletzt nahm die Polizei in Ankara den linken österreichischen Journalisten Max Zirngast bei einer Razzia gegen die linksgerichtete türkische Partei TÖPG fest.